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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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dem kommenden Jahr?«, sagt die Mutter.
    Hartmut nickt.
    »Und warum kommst du damit erst jetzt?«
    »Weil ich bis zuletzt gehofft hatte, es selbst stemmen zu können. Deswegen machen wir ja auch diese Taxen. Um endlich mal Geld zu verdienen.«
    »Ach, vergiss doch die Taxen«, sagt Hartmuts Mutter, steht auf und geht zum Bücherregal. »Du bist unser Doktor!« Sie sucht die obere Reihe des Regals ab und spricht dabei weiter, ausgestreckt mit dem Finger über die Einbände fahrend. »Ich freu mich schon darauf, es den Leuten zu erzählen. Mein Sohn, der Doktor. Die Frau Räderscheidt soll dann noch einmal einen blöden Spruch drücken über ihren kleinen Anwaltssohn. Ich sage dann, mein Sohn, Doktor der Literatur, hält am Wochenende einen Vortrag in Zürich. So sieht's nämlich aus!« Hartmuts Mutter hat gefunden, was sie suchte. Eine alte Ausgabe von »Serengeti darf nicht sterben«. Sie klappt sie auf, das Buch ist hohl, sie nimmt einen Batzen Scheine heraus, zählt sie ab, klappt es wieder zu und schiebt es ins Regal zurück.
    »Es gibt Banken, Mutter«, sagt Hartmut, während sie sich neben ihn hockt und ihm das Geld auf dem Tisch neben Printen und Peffernüssen abzählt.
    »Ja, und dann kommt der Amerikaner, und alles ist weg. Ich habe das Nötigste auf meinem Konto. Der Rest ist hier sicherer. Hier kommt der Amerikaner nicht rein. Wir haben drei Schlösser an der Tür. So, 5000 Euro in bar, gib das deinem Verlag und werde Doktor.«
    »Danke, Mama!« Er umarmt sie. Dann beugt er sich vor und drückt seine Faust gegen die des Vaters, wie es Gangmitglieder in Filmen tun. »Danke, Dad!«
    Sein Vater sagt nichts und nickt nur alaskahaft. Caterina spielt mit einem Zweig der Tanne und versucht, nicht aus Erleichterung zu quietschen. Irmtraut nickt mir aus ihrem Körbchen zu, als wolle sie >Gut gemacht!< sagen.
    »So«, sagt Susanne und stemmt die Arme auf ihre Oberschenkel, »jetzt will ich aber auch mal die berühmte Klobrille sehen!«
     

farmerboy 10
    »An den Briefkasten. Ja, ein gelber Zettel, richtig. Kleb ihn einfach dran. Ich danke dir, Cevat. Ich finde immer noch, dass es falsch ist, die Russen zu bezahlen. Aber für Prinzipien opfert man nicht seine Katze. Okay, wir sehen uns morgen, ja? Danke.« Hartmut legt auf.
    Die Frauen laufen hinter uns, wir gehen zu Fuß von Hartmuts Eltern im Domviertel zu meiner Mutter im Bahnhofsviertel. Wege unter fünf Kilometer gehen wir häufig zu Fuß. Nicht, weil das Moralministerium es befiehlt, sondern weil es guttut. Es verlangsamt die Zeit, den Rhythmus. Die Videospiele waren früher auch nicht schlechter dadurch, dass man fünf Minuten warten musste, bis sie geladen hatten. Wir gehen den Ring entlang, vorbei am Altersheim, in dem meine Tante Judith arbeitet. An der großen Kreuzung ginge es rechts zur Weseler Filiale von UPS, bei der ich früher schon einen Job hatte, bevor ich als vollwertiger Packer nach Herne wechselte. Wir überqueren die Straße in die andere Richtung, passieren die Zitadelle und nähern uns durch die Schillstraße langsam der kleinen Kreuzung mit dem Peitschhaus. Von hier kann man schon die große Bahnhofskreuzung sehen, an der die Tankstelle, das Restaurant, der Bahnhof und die Hochhäuser liegen, in deren höchstem meine Mutter immer noch lebt.
    Hartmut zeigt rechts in die Luisenstraße hinein auf ein unscheinbares Gebäude mit großem Vordach und einer Rampe für Rollstühle. »Da drin war früher mein Kinderarzt«, sagt er. »Dr. Bönninger. Meine Oma hat mich immer hingefahren, im Buggy, und dabei Lieder gesungen. Eines Tages saß eine Spinne in den Vorhängen des Wartezimmers, so was hast du noch nicht gesehen! Spinne auf Wand, das geht ja noch, denn die Wand ist flach und hart und man kann ihren Lauf gut beobachten. Aber Spinne im Vorhang? Das ist unberechenbar, weil er schwingt und sich faltet und du nie weißt, in welcher Falte sie jetzt gerade gelandet ist. Ich saß davor, sah das Vieh, und anstatt mich vom Vorhang zu entfernen, habe ich vor lauter Angst sozusagen hineingegriffen. So wie man sich in Albträumen dem Verfolger irgendwann vor die Füße schmeißt, damit es schneller vorbei ist. Ich verheddere mich im Vorhang, das Vieh landet irgendwie in meinem Kragen, ich schreie, mir wird schwarz vor Augen ...«
    Ich beende seinen Satz: »... und du wirst ohnmächtig. Liegst im Wartezimmer, alle viere von dir gestreckt, bewusstlos.«
    Er schaut beim Gehen auf seine Füße. Hinter uns reden sich die Frauen die Eindrücke vom ersten

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