Feindesland
hof, heiligabend.« Die Kamera senkt sich, im klammen Gras der Wiese erkennt man eine Katze. Einen Kater. Schwarz, muskulös, stupsnasig, jugendlich. Der Kater rennt los, erstürmt einen Baum, springt wieder runter, erstürmt einen Baum, springt wieder runter, erstürmt einen Baum, springt wieder runter, bleibt einen Moment stehen, als müsse er überlegen, dreht sich dann zur Scheune, flitzt auf sie zu und tackert in rechtem Winkel die Wand hinauf. Kaum oben, springt er wieder ab, ins Feld, zurück zur Kamera, schaut hinein. Die Kamera nähert sich ihm, und er schnuppert in die Linse, bis man ihm durch die Nasenlöcher in die Bronchien sehen kann.
»Yannick!!!!!«, schreien Hartmut und ich gleichzeitig, und Dennis fällt vor Schreck fast vom Stuhl.
»Das ist unser Kater!«
»Den wir seit Tagen suchen!«
»Was du nicht deiner Mutter verrätst. Oder seiner!« »Wo ist das? Dennis? Wo ist das?«
Dennis rutscht auf seinem Stuhl herum und wippt wieder mit dem rechten Bein. »Wo ist das???«
»Ich weiß es doch nicht«, jammert Dennis. »Das ist ein YouTube-Video ...«
»Finde es heraus!«, sagt Hartmut im Tonfall eines Bombenent-schärfers mit Ohrknopf.
Dennis scrollt durch die Kommentare und klickt auf den User, der das Video eingestellt hat. Der User heißt »farmerboylO«, sonst ist in seinem Profil nichts zu erkennen.
»Du musst herausfinden, wo das ist, aber ohne zu sagen, dass wir den Kater suchen«, sage ich, ruhiger als Hartmut.
Dennis sagt: »Ich kann dem User mailen. Ihn einfach fragen, wo er wohnt, und auf Antwort hoffen.«
»Er muss sofort antworten. Stante pede!«, sagt Hartmut.
»Das kann ich doch nicht garantieren! Vielleicht ist er heute nicht online. Und wieso darf ich nicht sagen, dass das Tier gesucht wird?«
»Tipp die Mail«, sage ich.
Dennis loggt sich über sein Profil ein und tippt: »Hallo, farmerboy10! Tollen Hof habt ihr da. Wo ist das? Bitte um schnelle Antwort.« Er sendet die Mail ab.
Nach zwei Sekunden fragt Hartmut: »Und?«
»Was und? Und? Kann ich zaubern? Der antwortet doch nicht sofort.«
»Mach den Film noch mal auf Anfang«, sage ich. Dennis macht auf Anfang.
Die Kamera fährt über den Hof, dann die Straße, den Zaun ...
»Stopp!«, sage ich. »Da, dieser eine Wackier, wo die Kamera noch mal hochgeht. Da kann man im Hintergrund ein Straßenschild erkennen. Oder? Das ist doch eins, oder?«
Dennis tastet sich an die Stelle heran. Am Ende des Zauns steht tatsächlich ein Straßenschild.
»Kannst du das lesen?«, fragt Hartmut.
Dennis klebt mit der Nase am Bildschirm. »Im Henkenlamp. Im Hengenkamp. Im Hengeslamp.«
»Im Heggenkamp!«, sagt Hartmut. »Googel das, schnell!«
Dennis googelt. Bloß 17 Treffer erscheinen. »Eine Straße im Münsterland. In der Provinz.«
»Google Maps, zack, zack!«, sagt Hartmut. »Google Earth, map24, ich will alles!«
Dennis findet die Stelle, bei Maps und bei Earth. Er zoomt das Satellitenbild heran. Ein Bauernhof. Die Scheune. Links daneben die drei Bäume.
»Das ist es«, sagt Hartmut. »Das ist das Gelände aus dem Video. Gelobt sei Google Earth, ist die überwachte Welt doch noch für was gut!« Er drückt Dennis, tief in seinem Schreibtischstuhl. »Danke dir, Schwippcousin, du hast uns eben 5000 Euro gespart!«
»Was hat er?«, frage ich.
»Du gehst jetzt runter zu deiner Mum«, sagt Hartmut zu mir. »Ich hole den Wagen. Die Frauen bleiben hier. Sag Susanne, sie führen doch zu ihrer Mutter. Mit dem Zug. Das ist auch Stress, aber weniger als die Rettungsaktion. Sie darf keinen Stress haben.«
Dennis sieht sehr verwirrt aus.
»Wir erklären es dir, wenn es vorbei ist«, sage ich. »Bis dahin ist das hier nicht passiert.«
Wir gehen. Als wir schon im Flur sind, dreht Hartmut sich noch mal kurz um und sagt: »Und tu was, Alter. Finde heraus, was da drüben los ist.«
Dennis sagt: »Warum ist euer Kater auf einem fremden Hof, den ihr nicht kennt? Warum seid ihr so unter Strom?«
Hartmut atmet schwer aus und schaut hinter sich, als prüfe er, dass keiner lauscht. Er sagt: »Er ist entführt worden. Aus unserer Wohnung. Vor ein paar Tagen. Man glaubt nicht, dass so etwas geschehen kann. Dass Menschen so etwas tun. Aber sie tun es.«
Dennis sieht ihn sehr nachdenklich an. Als habe Hartmut einen wunden Punkt getroffen.
»Finde es raus«, sagt Hartmut noch einmal, als spüre er, was Dennis denkt. »Und drück uns die Daumen.«
Dann verschwinden wir.
8 Cent für die Milch
Nach zwei Stunden Fahrt mit dem alten
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