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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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nicht«, sagt Jochen, »aber bald. Sie beginnen, Spitzel einzusetzen, die das prüfen sollen. Das ist auch ein neues Berufsfeld, das die Reformen gebracht haben.«
    »Neben den Bedenkenträgern«, sage ich und hoffe, das Jochen mich auslachen und fragen wird, ob ich phantasiere.
    »Genau«, sagt er, ernst und kauend, »neben den Bedenkenträgern. Ich sehe schon, ein bisschen was habt ihr doch mitbekommen.«
    Die zweite Miete
     
    Als wir gegen acht Uhr abends heimkommen, stehen die Russen vor der Tür. Ich erkenne sie sofort, es sind die beiden Typen, die wir neulich in der U-Bahn getroffen haben und die meinten, die Jobs, die sie anzubieten hätten, würden wir sowieso nicht machen. Der Kräftigere von beiden hat eine Höckernase, schmale Lippen und üppige Augenbrauen, die ihn älter aussehen lassen, als er ist. Bei dem Kleineren stehen die Augen zu weit auseinander. Es wirkt, als drifteten sie nach außen, wie bei einem Chamäleon. Zugleich schaut er müder aus der Wäsche als sein Boss, wie einer, der eben mitkommen muss, der aber viel lieber zu Hause auf dem Sofa sitzen würde. Sie stehen im Eingang unseres aus 100 Mietparteien bestehenden Hauses, als hätten sie ihn gepachtet. Die ganzen drei Quadratmeter unter dem angerosteten Vordach mit dem großen, aus Metall geflochtenen Papierkorb darunter und dem Türstopper, einem schwarzen Keil aus Hartplastik, der eigentlich im Treppenhaus liegen sollte, mit dem sie aber herumspielen wie andere mit einem Massageball aus Gummi. Sie werfen sich das Ding gegenseitig zu. Sie rauchen. Ihre Kleidung ist ordentlich, schlicht und gepflegt, keine Ballonhosen oder Goldkettchen. Ihre Zigaretten drücken sie gründlich am Rand des Papierkorbs aus, bevor sie sie hineinwerfen. Sie stehen gerade, keine HipHopper-Haltung mit angewinkelten Beinen und beginnendem Bierschiss in der Hose. Sie stehen ruhig. Das beunruhigt mich. Wer wenig posen muss, hat umso mehr auf der Pfanne.
    »Guten Abend, die Herren«, sagt der Größere von ihnen, der rechts am Papierkorb steht.
    »Einfach ruhig bleiben und durchgehen«, flüstert Hartmut mir zu, doch seine Strategie geht nicht auf. Ein Arm drängt sich zwischen Hartmuts Brust und das Innere unseres Hauses.
    »Vielleicht wisst ihr das einfach noch nicht«, sagt der Armbesitzer, »kann ja sein, kann passieren, man hat viel zu tun nach einem Einzug, aber ... hier zu wohnen, kostet ein bisschen Geld.«
    Ich wünsche mir, dass ich nicht gehört habe, was ich gerade gehört habe.
    Hartmut tritt einen Schritt zurück und sieht die Männer an. Dann klatscht er die Handflächen an seine Wangen, macht einen großen Fischmund, reißt die Augen auf und sagt: »Ohhhh, mein Gooooottttt! Wir müssen hier Miete zahlen???« Er fasst den Russen an den Schultern und sagt in einem gurgelnden Ivan-Rebroff-Akzent: »Igor, danke, dass du mir das gesagt hast. Ich wusste ja nicht, wie die Sitten hier sind. Wo ich herkomme, gibt der Besitzer seinen Wohnraum gratis daher!«
    Der Russe stößt Hartmuts Hände von seinen Schultern und sagt: »Oh, ein origineller Mann. Das weiß ich zu schätzen. Aber packst du mich noch einmal an, geht das nicht so freundlich weiter wie bisher.«
    Hartmut packt ihn nicht mehr an, sieht ihm aber in die Augen, ohne seinem Blick auszuweichen. Koteletten gegen Augenbrauen.
    Ich trete einen Schritt vor und sage: »Hey!«, was rhetorisch nicht brillant ist. Es ist dieses Kirmes-Hey, dieses Fußballplatz-Hey, dieses Betriebsausflugs-Hey, das man sagt, wenn man die Keilerei noch knapp abwenden zu können glaubt, dieses »Hey!«, das einhergeht mit Adrenalinstößen und gesteigerter Darmaktivität. Der kleinere Russe macht ebenfalls einen Schritt, halbherzig und pflichtschuldig. Ich denke daran, dass meine Faust schon in den nächsten drei Minuten in seinem Gesicht landen könnte und dass ich daran überhaupt nicht denken will.
    Hartmuts Gegenüber legt den Kopf zur Seite: »Komm schon, sagen wir, wie es ist. Berlin ist ein gefährliches Pflaster geworden. Die Türken beherrschen Kreuzberg, die Araber beherrschen Neukölln. Ihr seht das doch selber, wie sie jeden Tag bei euch vor der Tür stehen. Hier im Bezirk, das sind Faruk und seine Leute. Erzählt mir nicht, ihr habt noch keinen Stress mit denen gehabt.«
    Ich denke an die Bande, die fast jeden Tag vor unserer Haustür lärmt. Die Bande, die in Versen spricht, in neuer deutscher Rap-Poesie. »Isch fick disch mit der Faust«, »Wer ist hier die Schwuchtel?«, »Verpiss dich, du Spast!« Ich kann

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