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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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reagiert.
    »Ey, salak!«, ruft ihr Anführer, ein kantiger Typ mit schwarzem Zopf, vorstehendem Oberkiefer und überheblichem Blick. Ich gehe weiter. »Ich red mit dir, Mann!«
    Er steht auf und kommt von rechts auf mich zu, zwei seiner Assistenten folgen ihm wortlos im gleichmäßigen Abstand von Satelliten, die in alten Ballerspielen um das Mutterschiff kreisen. Der Rest der Gang bleibt einfach am Wegesrand hocken. Ein paar haben Spielkarten und Bierflaschen zwischen sich. Einer lässt einen Spliff rumgehen.
    »Ey, ich mach dich Homo arm!«, sagt der Anführer und ist fast bei mir.
    Die Tür ist noch fünf Meter entfernt. Das Blut pumpt rot durch meine Ohren. Ich beschleunige.
    »Der haut ab, Mann!«, ruft einer der Schaulustigen am Boden, und ich denke mir wieder, wie unsinnig das ist. Ich will rein in mein Haus, in dem ich eine Wohnung gemietet habe, und ein 17-Jähriger bezeichnet das als unverschämte Flucht, während er auf dem Asphalt trinkend Karten spielt. Bevor ich die Tür erreiche, spüre ich einen Schuh auf meinem rechten Spann. Ehe ich begreife, dass der Schuh stehenbleibt, während ich den Fuß heben will, falle ich vornüber auf die geschlossene Haustür zu, rudere mit den Armen und kann meinen Sturz gerade noch so mit der linken Hand an dem langen Metallgriff der Tür abfangen, was dazu führt, dass ich mir die Hand abknicke und mit dem linken Knie auf den Boden aufschlage. Schmerz und Schreck nehmen mir die Luft. Um mich herum und von den Kartenspielern auf dem Weg ertönt Lachen. Sie johlen, als hätten sie einen Scherz unter Kumpels gemacht. Der Anführer reicht mir sogar die Hand zum Aufstehen. Er sagt: »Ah, komm schon, kein Thema, Mann!«
    Ich verstehe. Das Beinchenstellen war der Vertrag, den man bestätigen muss, bevor man als User akzeptiert wird. Wenn ich jetzt seine Hand nehme, mache ich damit das Häkchen unter seine AGB. Sage im Grunde: »Jawohl, ich akzeptiere, dass ich nichts wert bin und dir das Recht übertrage, mich täglich vor meinem eigenen Haus herumzuschubsen und zu misshandeln, wie es dir beliebt. Denn du bist die Kraft und die Herrlichkeit, in Ewigkeit, Amen.« Ich stütze mich mit der linken Hand auf meinen Oberschenkel und reiche ihm die rechte. Er lächelt. Kurz, bevor er mich hochziehen kann, schlage ich seine Hand weg.
    Er ist so verdutzt, dass er mich für einen Moment ansieht wie ein Mensch. Eine Sekunde lang fällt die hautenge Folie aus Posen und Grimassen, die er sich jeden Morgen überstreift, von ihm ab. Eine Sekunde lang schürt es in mir die Hoffnung, er und seine Gefährten würden jetzt wirklich lachen, sich ausschütten über ihre Possen und mich zu einem Kartenspiel einladen, das nicht den Charakter eines Gangster-Erkennungszeichens, sondern eines Sonntagnachmittags auf dem Campingplatz hat. Doch diese Sekunde geht schnell vorüber. Als sie vorbei ist, spüre ich seine Hände an meiner Kehle und meinen Hinterkopf am Glas der Haustür. Mit eisernem Griff stößt er ihn dagegen, meinen Kehlkopf fest umschlossen, während seine Lakaien mich an den Armen festhalten.
    Er brüllt. »Bist du ein Opfer, oder was? Hä? Labunya? Bist du ein Opfer?«
    Ich verstehe ihn nicht. Was ich gerade getan habe, belegt eigentlich, dass ich gerade das nicht bin. Ich versuche, mit meinen Armen gegen die Lakaien zu wirken und mich freizuwinden. Ich habe kräftige Arme, immer noch. Ich unterdrücke Tränen, die nicht wegen der Schmerzen entstehen, sondern wegen der Demütigung. Ihr schmierigen Ratten, denke ich. Ihr feigen, schmierigen Ratten. Was man halt so denkt, wenn man einzuschätzen versucht, ob wirklich hier, auf dem dreckigen Boden vor der Glastür einer Weddinger Mietskaserne, alles zu Ende gehen wird.
    »Ozgür!«, höre ich eine Männerstimme, als mich schon Schwindel überkommt. »Lass den Mann in Ruhe.«
    Der Anführer, der also Ozgür heißt, lässt prompt von meinem Hals ab. Seine Lakaien lassen meine Arme los und entfernen sich. Schnell huschen sie vorbei an dem großen, in Jeans und ein beiges Polohemd gekleideten Mann, der nun mit dem Finger auf Ozgür zeigt und sagt: »Wenn ich das noch einmal sehe, sage ich Alexej Bescheid, hörst du?«
    Ozgür winkt ab, eine Schnute ziehend, auf die Udo Lindenberg stolz wäre: »Was redest du da, Mann? Der Scheißkerl kann mich mal!«
    Er hat Angst vor Alexej. Ich höre das, denn wo seine Stimme sonst am Ende eines Satzes noch einmal an Lautstärke zunimmt, fällt sein Satz jetzt in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Der große

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