Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
Vom Netzwerk:
Golfspieler dem fliegenden Ball. Bevor er landet, spricht er weiter: »Wenn uns auf offener Straße die Polizei fragen würde, was wir für Interessen haben und ob wir schwul, hetero oder bi sind, Single, verheiratet oder in fester Beziehung, Christ, Moslem, Atheist oder Wicca - würden wir darauf Antworten geben? Nein! Aber in unseren Online-Profilen, na klar, da tun wir das! Neulich belauschte ich zwei Mädchen in der U-Bahn, die über eine nicht anwesende Klassenkameradin sprachen. Sie sei mit Josh zusammen, sagte die eine, aber Josh selber sehe das wohl ganz anders. Auf dessen Profil bei SchülerVZ stünde immer noch >Single<, während bei ihr >in fester Beziehung markiert sei. Wir sammeln Punkte bei Ciao und gute Bewertungen bei eBay, wir speisen unser Gesicht in Schönheitsbewertungsmaschinen ein und registrieren unseren Benzinverbrauch bei Spritsparer.de . Was die Regierung braucht, ist keine Kampagne, sondern ein System. Eine zentrale Integration all dieser kleinen Module in ein einziges System. Was die Regierung auf die Beine stellen sollte, ist ein —«, Hartmut malt den Begriff in großen, neongelben Lettern auf die Glastafel:
     
     

Bürger VZ
    Murmeln und Regung unter den Anwesenden, hier ein »Oh« und da ein »Ah«; Milo zieht die Augenbrauen hoch.
    Hartmut sagt: »Jeder Bürger bekommt ein öffentliches Nutzerprofil. Mit Lebenslauf und Foto. Dann folgen Kästen mit, seinen aktuellen Leistungen gemäß des heute verlangten Lebens. Hat er in den letzten Monaten wenig oder gar keinen Sprit verbraucht? Sich richtig ernährt? Im Fernsehen nur arte gesehen? Sein Bonusheft gefüllt? Für jede richtige Handlung gibt's Punkte; der Bürger kann sich hochleveln wie die Figur in einem Spiel. Es wird Premium-Bürger geben und King-Bürger, ebenso wie Bürger, die absacken. Das wird allerdings seltener geschehen, denn durch dieses System steigt die Motivation, Punkte zu sammeln. Die bisherigen Profile ließen sich wie in einem Modulsystem leicht integrieren. Man könnte über ein YouTube-Fenster Videos von seinem ersten 5000-Meter-Lauf zeigen, während man über ICQ seine Glückwünsche zur neuen Disziplin empfängt und zeitgleich bei eBay seine alten Ballerspiele verkauft, von denen man sich wegen der pädagogischen Wirkung der Aggressionssteuer losgesagt hat. Baut man eBay fest in dieses System ein, ließen sich auch endlich Steuern auf dort erzielte Privaterlöse erheben.«
    Ich sehe in die Gesichter der ewig jungen Smart-Fahrerinnen und iPhone-Telefonierer um uns herum. Gleich muss sich der erste Protest regen. Gleich wird einer die Satire erkennen, mit der Hartmut glatt im »Scheibenwischer« auftreten könnte. Gleich merken sie, dass er die teure Zeit der Agentur mit Sarkasmus vergeudet.
    Ein Kinnbartträger aus Crew 2 fragt: »Aber wie stellt man sicher, dass die Bürger ihre Daten auch richtig einspeisen? Dass sie nicht einfach nur behaupten, letzte Woche wieder 20 Kilometer gejoggt zu sein und danach zu einem Joghurt im TV ausschließlich alte Inszenierungen von Max-Frisch-Stücken gesehen zu haben? Wie garantiert man, dass niemand Punkte für Leistungen kriegt, die er gar nicht vollbracht hat?«
    Hartmut fixiert den Bart des Fragenden. Dann sieht er auf und antwortet: »Das ist eine sehr gute Frage. Zum einen hat der Staat ja ohnehin seine Mittel. Die C02-Maut, die Bonusheftchen, die Subventionsprüfungen. Zum anderen kommt hier die Community ins Spiel, die Gemeinschaft. Deswegen ist es wichtig, dass bei einer etwaigen Einführung dieses Systems jeder im Land ein BürgerVZ-Profil hat. Verpflichtend. Wenn jeder eines betreibt, kann auch jeder von jedem beobachtet und Verstöße können gemeldet werden. Nachbarn und Arbeitskollegen sprechen doch sowieso übereinander. Das kann durch ein solches System in produktive Bahnen gelenkt werden.«
    Ich schaue wieder in die Runde. Es muss sich doch Widerstand regen. Hören die denn nicht, was Hartmut da sagt?
    Eine Frau aus Crew 3 fragt: »Und wer überwacht die Überwacher? Wie verhindern wir, dass Menschen nicht einfach verleumdet werden, wenn sie vorm Max-Frisch-Gucken doch 20 Kilometer gelaufen sind?«
    »Durch User mit besonderen Befugnissen«, sagt Hartmut. »Sagen wir, einer pro Häuserblock, fünf pro Viertel, zwanzig pro Ortsteil. Bei ihnen laufen die Beschwerden zusammen. Sie haben Administratorrechte. Sie hören allen Beteiligten zu und entscheiden über die finale Punktevergabe. Man könnte sie GESTAPO nennen. >Gesellschaft für ständige Anwender-

Weitere Kostenlose Bücher