Feindfahrt
»Jawohl, Sir.« In tiefen
Zügen sog Swallow die frische Seeluft ein. »Fünf Nonnen , Sir , und ein alter Herr mit seiner Frau, die sehr schwer krank zu sein scheint, Sir.«
Edge wollte zum Niedergang, doch Swallow sagte
hastig zu ihm: »Ich würd's lieber nicht tun, Sir. Es sei
denn, Sie halten's für Ihre Pflicht. Die Leute haben eine schlimme
Sturmnacht hinter sich. Sie sind noch immer dabei, Klarschiff zu
machen.« Edge zögerte, wandte sich um, warf Sturm einen
Blick zu, sah, daß Berger ihn aufgebracht anfunkelte, und stieg
hinunter. Der Gestank war unerträglich, die Ausdünstungen von
mensch lichen Exkrementen und Erbrochenem drehten ihm den Magen um. Das
erste, was ihm im Chaos des Salons auffiel, waren vier Nonnen, die mit
Eimern und Bürsten mitten im Unrat knieten und eifrig den
Fußboden scheuerten. Edge hielt sich ein Ta schentuch vor Mund
und Nase, als Schwester Angela an der Kabinentür der Pragers
erschien.
»Kann ich Ihnen helfen?« fragte sie
in gutem Englisch. »Tut mir leid, Sie belästigen zu
müssen, Ma'am. Aber es ist meine Pflicht, verstehen Sie?« Er
hielt den Stapel Pässe empor. »In ternationales Recht in
Kriegszeiten. Ich bin berechtigt, die Pas sagierliste zu
überprüfen.« Er sah an ihr vorbei zu Prager hin
über, der an der Koje seiner Frau kniete. Ihr schneeweißes
Ge sicht glänzte vor Schweiß, ihr Atem ging unendlich
langsam. »Und diese Herrschaften?« Er blätterte in den
Pässen. »Mr. Ternström und seine Frau. Wie Sie sehen,
ist Frau Ternström schwer krank.«
Prager drehte sich zu ihm um; der Schmerz, der
ihm im Gesicht geschrieben stand, war zweifellos echt, und Edge wich
unwill kürlich einen Schritt zurück. Genau diesen Moment
suchte sich Schwester Maria aus, um sich heftig zu erbrechen; wie ein
krankes Tier kauerte sie auf dem Boden. Das reichte. Edge machte auf
dem Absatz kehrt, drängte sich an Sturm vor bei und stieg eilig
den Niedergang hinauf. An die Steuerbordre ling gelehnt , atmete er tief durch. Gleich darauf trat Swallow zu ihm. »Alles in Ordnung, Sir?«
»Mein Gott, was für eine
Pesthöhle. Diese Frauen - sie müssen die Hölle
durchgemacht haben.« Er riß sich zusammen. »Ha ben
Sie die Laderäume gründlich durchsucht, Bootsmann?«
»Einwandfrei, Sir. Sie führt nur Sand. Ballast.«
Edge wandte sich an Sturm, der, Kapitän
Berger hinter sich, ein paar Schritte entfernt stand und wartete.
»Das begreife ich nicht ganz.«
»Wir sind viele Monate lang vor Brasilien
im Küstenhandel gefahren«, erklärte ihm Sturm.
»Dann wollten wir endlich nach Hause. Und wie Sie sich vorstellen
können, hatte niemand gro ße Lust, uns unter diesen
Umständen eine Ladung anzuvertrau en.« »Und die
Passagiere?«
»Die Schwestern saßen seit über
einem Jahr in Brasilien fest. Wir waren das erste schwedische Schiff,
das aus Brasilien ab segelte. Sie waren dankbar für die
Gelegenheit zur Heimkehr, wie primitiv sie auch sein mochte.«
»Aber die alte Dame«, wandte Edge
ein. »Mrs. Ternström. Sie macht den Eindruck, daß es
ihr sehr schlecht geht.«
»Sie will unbedingt ihre Familie
wiedersehen, solange es noch möglich ist.« Sturm
lächelte voll Bitterkeit. »Der Krieg macht es uns Neutralen
sehr schwer, von einem Punkt der Erde zum anderen zu gelangen.«
Edge faßte einen Entschluß und händig te ihm die
Pässe aus. »Bitte sehr. Drücken Sie dem Kapitän
mein Bedauern aus. Ich muß es nur noch von meinem Vorge setzten
bestätigen lassen, aber ich sehe keinen Grund, warum wir Sie nicht
weiterfahren lassen sollten.« Er trat an die Ja kobsleiter, blieb
aber noch einmal stehen. »Die Damen un ten...«
»Werden's schon schaffen, Lieutenant. Bald ist wieder alles
blitzblank.«
»Falls wir noch irgend etwas für Sie
tun können...« Leutnant Sturm lächelte. »Sagen
Sie uns, wie der Krieg steht. Was ist inzwischen alles passiert?«
»Er steht eindeutig zu unseren
Gunsten«, antwortete Edge. »Obwohl es in Europa jetzt doch
ein bißchen langsamer voran geht. Ich glaube kaum, daß wir
zu Weihnachten in Berlin sein worden. Die Deutschen leisten verdammt
zähen Widerstand in den Niederlanden.« Rasch stieg er die
Jakobsleiter hinab; Swallow und der Matrose folgten ihm, dann warfen
sie los. »Nun, Bootsmann?« fragte Edge, als sie
davonpullten. »Eines weiß ich ganz bestimmt, Sir. Ich werde
mich nie wieder darüber beklagen, daß ich U-Bootfahrer
bin.«
Berger stand auf dem Achterdeck, rauchte eine Zigarre und wartete. Leutnant Sturm war an seiner Seite.
»Was
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