Feindfahrt
wundern, wenn da auch nur'n Hering durchkäme.«
»Sechs Meter jetzt«, widersprach Gericke. »Bei Flut aber, und die haben wir heute abend um dreiundzwanzig Uhr, mindestens neun Meter in der Durchfahrt.«
Friemel sah abermals auf die Karte. »Tut mir leid, Paul, aber ich sehe wirklich keine Möglichkeit. Praktisch kein Platz zum Tauchen, nicht einmal bei Hochwasser. Und navigieren ist da vollkommen unmöglich.«
»Aber ich habe ja gar nicht vor, zu tauchen«, erklärte Gericke. »Jedenfalls nicht ganz. Ich werde auf der Brücke bleiben und Steueranweisungen geben. Die Karte habe ich mir inzwischen genau eingeprägt.«
»Großer Gott!« flüsterte Friemel entgeistert. Der grüne Vor hang wurde beiseite geschoben, und Oberleutnant z. S. Karl Engel, der Erste Wachoffizier, trat ein. »Kontakt, Käpt'n. Schiffe einlaufend von Ost, in Kiellinie. Drei, vielleicht auch vier.« Gericke warf einen Blick auf die Uhr. Wenige Minuten nach neun.
»Anscheinend genau das, worauf wir warten. Sie wissen, was zu tun ist. Klar zum Weiterlaufen in fünf Minuten. Wir hängen uns blind an die Pötte an. Ich werde das Ruder selbst überneh men.«
»Kein Periskop?« fragte Friemel. »Nicht, bis wir in Carrick Roads sind.« Engel verschwand, der Vorhang fiel zu. Gericke öffnete einen Schrank unter der Koje und nahm eine Flasche mit zwei Blechbechern heraus. »Schnaps?« erkundigte sich Otto Friemel.
»Erstklassiger.« Gericke schenkte großzügig ein. »Der ist sogar
schon mit in Japan gewesen; kommt nur bei besonderen Gele genheiten auf den Tisch.« »Und worauf trinken wir?« fragte Friemel.
»Na, auf unser Spiel«, antwortete Gericke. »Das scheint mir doch angebracht. Auf dieses dumme, idiotische Spiel, das wir alle seit fünf Jahren betreiben, und das jetzt, wie es scheint, wieder einmal seinen Lauf nimmt.«
Janet Munro erwachte nur widerwillig auf das hartnäckige Klingeln an ihrer Wohnungstür hin. Sie hatte fürchterliche Kopfschmerzen, ihr Mund war trocken. Regungslos blieb sie liegen, starrte im Dunkeln zur Decke hinauf, versuchte sich zusammenzureißen und hoffte, dieses verdammte Schrillen würde endlich aufhören. Aber es hörte nicht auf. Wütend schlug sie ihre Bettdecke zurück und langte nach dem Bade mantel. Als sie die Tür öffnete, wollte ein großer, schlanker, junger Marineoffizier in Seemannsjacke und Schirmmütze ge rade noch einmal auf die Klingel drücken. Seine Schultern hin gen müde nach vorn, und er wirkte sehr abgespannt, besonders um die Augen herum. Über seine rechte Gesichtshälfte lief eine tiefe Narbe.
Sie sah auf die Uhr. Kurz nach zehn, also hatte sie drei Stunden geschlafen. Unter diesen Umständen fiel es ihr wirklich schwer, nicht grob zu werden. »Ja, was ist?«
»Dr. Munro? Mein Name ist Jago, Harry Jago.«
»Tut mir leid. Sie haben sich den falschen Abend ausgesucht. Ich weiß zwar nicht , wer Sie geschickt hat , aber heute muß ich schlafen. Ein anderes Mal vielleicht.« Jagos Lächeln ver schwand. Er wirkte plötzlich sehr jung. »Sie haben mich falsch verstanden.« Er zog einen Brief aus der Tasche und reichte ihn ihr. »Ihr Onkel bat mich, Ihnen das zu überbringen.« Sie runzelte erstaunt die Stirn . »Onkel Carey ? Ich dachte, der wäre noch auf den Hebriden?«
»Ist er auch . Ich war vorgestern bei ihm auf Fhada.« Sie nahm
ihm den Brief ab und nickte langsam, als falle es ihr immer noch schwer , alles richtig zu begreifen. »Und was haben Sie da gemacht , Lieutenant?«
»Ach , ich bin so eine Art Postbote auf den Inseln« , antwortete Jago unbeschwert.
»Kaum der Brennpunkt des Krieges , nicht wahr , Lieutenant?« »Während tapfere Männer anderswo kämpfen und ihr Leben lassen? Ansichtssache.« Jetzt lächelte er nicht mehr. »Wie dem auch sei . Sie haben den Brief , Doktor , und falls es Sie interes siert , dem Admiral ging es recht gut , als ich ihn das letztemal sah.«
Sofort bereute sie ihren Sarkasmus. In letzter Zeit neigte sie immer mehr zu so grausamen Bemerkungen.
»Einen Moment!« sagte sie energisch . Jago drehte sich um . Sie lächelte. »Kommen Sie doch herein und trinken Sie etwas , während ich den Brief lese.«
Das Wohnzimmer war klein und unaufgeräumt. Sie schaltete den elektrischen Kamin an und nahm Platz. »Legen Sie Ihre Jacke ab und schenken Sie sich ein. Da drüben, im Eckschrank, steht der Scotch. Eis ist leider nicht vorhanden. Irgendwie lernt man hier, ohne Eis auszukommen.« »Und Sie selbst?«
»Ein ganz kleiner würde mir guttun. Aber
Weitere Kostenlose Bücher