Feindfahrt
überrollte ihn.
Der dunkle Schatten, den Gericke ganz kurz gesehen hatte, ehe er mit dem Vorschiff des U-Boots zusammenstieß, war ein Vosper-Motor-Torpedo-Boot der Fünfzehnten Flottille der Royal Navy, das nach Erhalt eines Funkspruchs über den An griff in Falmouth mit fünfunddreißig Knoten von seiner Pa trouillenfahrt heimkehrte. Die Kollision hatte ihm das Ruder weggerissen; es trieb hilflos und nahm Wasser über, alle Ma schinen waren gestoppt. Auf der Brücke nahm der Komman dant, ein Reserveoffizier der Royal Navy namens Drummond, vom Oberbootsmann die Schadensmeldung entgegen. »Wie lange haben wir noch?«
»In dieser schweren See höchstens eine Stunde, Sir. Wenn die
ihr Schiff behalten wollen, sollten sie schleunigst einen Schlepper rausschicken.« »Sind Sie sicher, daß es ein U-Boot war?«
»Ganz sicher, Sir. Matrose Cooper hat es auch gesehen.« Er zögerte. »Ob's aber eins von unseren war oder vielleicht eins von denen, weiß ich nicht.«
»Himmel!« murmelte Drummond vor sich hin.
Hinter der Brücke ertönte ein aufgeregter Schrei. »Da schwimmt einer im Bach, Sir! An Backbord.«
»Suchscheinwerfer!« befahl Drummond. »Schnell!« Der Licht strahl glitt über das kabbelige Wasser und hob Gericke in sei ner gelben Schwimmweste aus dem Dunkel. Er winkte, wäh rend er auf die Bordwand zugetragen wurde.
»Beeilung!« drängte Drummond unruhig. »Der muß ja halb erfroren sein!«
Bell, der Maat, hastete von der Brücke herunter, um die Ber gung zu beaufsichtigen . Eilig wurde Gericke an Bord gezogen. Drummond beugte sich über die Brückenreling, hielt den Scheinwerfer auf die Gruppe gerichtet und beobachtete die Szene aufmerksam. Dann sah Bell zu ihm hoch. »Bei Gott, Sir, wir haben einen Jerry geschnappt!«
In London regnete es stark, und in den Straßen lag wallender Nebel, Janet Munros Trenchcoat war durchweicht, ebenso das Tuch, das sie sich um den Kopf gebunden hatte.
Sie waren mehrere Meilen durch den strömenden Regen mar schiert - Birdcage Walk, der Palace, St. James's Park und Downing Street. Jago hatte zwar nicht viel davon gesehen, aber das war ihm gleichgültig. »Haben Sie denn immer noch nicht genug?« fragte er, als sie zur Westminster Bridge hinuntergin gen.
»Bestimmt nicht. Ich habe Ihnen doch was Besonderes ver sprochen.« Jago sah sie verständnislos an .
Als sie die Brücke erreicht hatten, bog sie zum Embankment
ein .
»Also, da wären wir«, erklärte sie . »Die romantischste Ecke von ganz London . Jeder Amerikaner hier sollte wenigstens einmal das Embankment entlanggegangen sein, am besten um Mitternacht.« »Mitternacht wird es gleich schlagen«, erwiderte Jago.
»Wunderbar. Wir werden eine Zigarette rauchen und auf die Geisterstunde warten.«
Sie lehnten sich auf die niedrige Mauer und lauschten dem Plätschern der Themsewellen. »Nun, hat sie Ihnen gefallen, die private Sonderstadtführung?« fragte sie ihn.
»O ja, Ma'am, das kann man wohl sagen«, antwortete Jago. »Ich war ein Fremder in dieser Stadt, jetzt bin ich es nicht mehr.«
»Das ist hübsch«, stellte sie fest. »Ein Dichter sind Sie also auch.«
»Ich nicht«, korrigierte Jago. »Bedanken Sie sich bei den Gershwins.« Er beugte sich neben ihr über die Mauer. »Sie haben diese alte Stadt tatsächlich ins Herz geschlossen, nicht wahr?«
»Wir haben eine ganz besondere Beziehung zueinander. Ich habe sie in guten und schlechten Zeiten erlebt, oft genug, wenn sie an allen Ecken und Enden brannte, aber wir sind immer noch da, wir beide.«
»Nur die Menschen mögen Sie wohl nicht, oder?« Sie reckte das Kinn. Er spürte, daß sie wütend war, ihren Zorn kaum un terdrücken konnte. »Sollte ich das denn? Ich wünschte, Sie könnten mir einen Grund dafür nennen.«
»Was ist mit Ihnen , Doktor? Finden Sie nicht , daß Sie ein biß chen zu überheblich sind ? Haben Sie zu viele Menschen ster ben lassen müssen ?«
»Ach , gehn Sie zum Teufel , Jago!« Sie hob die Hand , als wolle sie zuschlagen. Da kam von Big Ben herüber der erste Glok
kenschlag. Mitternacht.
Jago hob abwehrend die Arme. »Achtung - die Geisterstunde! Und wir sind am Embankment , am romantischsten Platz von ganz London.« Sie berührte seine Wange.
»Hat man Sie da draußen sehr schwer verletzt , Jago? Hat es Sie mehrere Jahre Ihres Lebens gekostet?« »Zu viele« , gab er zurück.
Der letzte Glockenschlag dröhnte . Der Regen steigerte sich zum Wolkenbruch , und sie standen sehr nahe beisammen. Langsam legte sie ihm die
Weitere Kostenlose Bücher