Feindfahrt
Hände auf die Schultern . Dann schob sie eine Hand hinter seinen Kopf und küßte ihn leiden schaftlich auf den Mund .
»Bring mich nach Hause , Harry Jago« , flüsterte sie.
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Schonerbark DEUTSCHLAND, 19. September 1944. 43 ° 4' nördl. Breite, 20° 55' westl. Länge. Letzte Nacht während der Mittelwache im Sturm VorObermarssegel gerissen. Wetterbedingungen immer schlechter. Während der Frühwache steife Brise mit hochgehender See.
Obwohl es erst zwei Glasen der Nachmittagswache war, mußte Schwester Angela bereits die Lampe anzünden, weil es ziem lich finster war. Sie saß am Tisch, der wie die Stühle fest mit dem Boden verschraubt war. Vor ihr lag ihre Bibel. Ihr gegen über saß Schwester Maria, eifrig mit dem Flicken eines Dril lichhemdes beschäftigt.
Draußen heulte und tobte der Wind; die Deutschland legte sich weit nach Backbord über, und es dauerte ziemlich lange, bis sie sich wieder aufrichtete. Die beiden Frauen hätte das vor kur zem noch in panische Angst versetzt, jetzt fürchteten sie sich nicht mehr. Wasser kam den Niedergang herabgeplätschert und rann über den Fußboden . Alles war kalt und feucht, sogar die Wolldecken, die sie sich um die Schultern gehängt hatten. Maria, in der trüben Beleuchtung über ihre Arbeit gebeugt, lächelte flüchtig, offenbar über einen ganz privaten Gedanken. Schwester Angela hatte sie in letzter Zeit häufig so lächeln sehen und wußte nur zu gut, was das bedeutete. Es war, als entgleite ihr das junge Mädchen, entferne sich unaufhaltsam von allem, was ihr einst so wichtig erschienen war. Sie spürte, wie der Zorn in ihr aufstieg, wie sich alte Wunden öffneten, unterdrückte dieses Gefühl jedoch energisch. Es war eine schlechte Reaktion und bot wirklich keine Lösung.
Sie fragte Maria: »Dieses Hemd da, gehört das nicht Herrn Richter?«
Maria hob den Kopf. »Ja, Schwester.«
Bevor sie das Gespräch jedoch weiterführen konnten, polterten Schritte auf dem Niedergang, und der Bootsmann erschien, eine Blechkanne in der Hand. Seine blonden Haare und der Bart glitzerten von Regentropfen, und vom gelben Ölzeug lief das Wasser.
Lachend stellte er die Kanne auf den Tisch. »Heißer Tee, mei ne Damen. Alles, was die Kombüse im Moment zu bieten hat.« »Ist es sehr schlimm da oben, Herr Richter?« erkundigte sich Schwester Angela.
»Ach was, nur ein typischer Atlantiksturm, Schwester«, beru higte er sie. »Für einen so alten Hasen wie Sie nichts Aufre gendes.« Gegen ihren Willen mußte sie lächeln; es war zu schwer, dagegen anzukämpfen.
»Ihr Hemd ist bestimmt heute abend fertig, Herr Richter«, ver sprach Maria.
»Sie verwöhnen mich, Schwester Maria.« Die Deutschland krängte plötzlich so stark, daß er sich am Tisch festhalten muß te. »Ich muß wieder rauf. Das da eben war ganz schön hart.« Er stieg den Niedergang hinauf, und Maria unterbrach ihre Näharbeit. »Er gönnt sich nie Ruhe. Man sollte meinen, er wä re der einzige Mann auf dem Schiff.«
»Der beste Seemann zweifellos«, bestätigte Schwester Angela. Dann fuhr sie fort: »Und überhaupt ein prachtvoller junger Mann. Hat er Ihnen viel von sich erzählt?« Maria sah auf, pu terrot im Gesicht. »Ich frage nur, weil Schwester Regina er wähnte , sie habe gesehen , daß Sie sich mit Herrn Richter ge stern abend an Deck ziemlich lange unterhalten haben.« Doch ehe das junge Mädchen antworten konnte , holte das Schiff un ter dem Ansturm einer neuen heftigen Bö über und wurde aus dem Ruder gedrückt. An Deck tönten erschrockene Rufe; dann sprang die Niedergangsluke auf und Massen von Wasser schossen herein.
Berger hatte mit Unterstützung zweier Matrosen das Ruder übernommen; die Deutschland pflügte durch die weißschäu mende Wasserwüste und scherte trotz der vereinten Kräfte dreier Männer immer wieder um mehrere Strich nach Backbord und Steuerbord aus. Sturm und der Vollmatrose Knorr versuch ten die Stagfock zu reffen und hatten dabei sehr schwer zu kämpfen , denn die Seen wuschen immer wieder über das Luv schanzkleid , bis das Wasser über den Luken stand , hüfttief auf dem Deck wirbelte und die Männer ihre Arbeit alle paar Au genblicke unterbrechen und sich festhalten mußten, damit sie nicht über Bord gespült wurden.
Als Richter aus dem Niedergang auftauchte, schloß er die Tü ren hinter sich und wollte zur Achterdecksleiter hinüber. In diesem Moment kam eine riesige Woge von achtern heran, die sich so hoch türmte, als wolle sie die Deutschland verschlin
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