Feindfahrt
Murdoch in Seestiefeln und Seemannsjacke hereinkam, über dem Arm einen gelben Ölhautmantel: eine prachtvolle, archai sche Gestalt , nach der alle Anwesenden die Köpfe drehten. »Darf ich Ihnen einen Scotch holen, Mr. Macleod?« fragte Ja go, der zuvorkommend aufgestanden war.
»Murdoch, mein Junge - für meine Freunde einfach Murdoch«, erwiderte der Alte. »Ja, ein kleiner Schluck würde mir guttun.« Jago ging zur Bartheke , und Murdoch zog seine Pfeife heraus.
»Stört Sie das , Mädchen?«
»Aber nicht im geringsten« , antwortete sie. »Und jetzt erzäh len Sie schnell von der Insel. Wie geht's meinem Onkel?« Me thodisch stopfte Murdoch den Pfeifenkopf aus seinem Öltuch beutel. Statt ihre Frage zu beantworten, erkundigte er sich sei nerseits: »Wo kann denn wohl der junge Lachlan sein?« »Oben in meinem Zimmer. Ich hab' mir gedacht, warum soll das Bett leerstehen, und er sah so aus, als könnte er ein bißchen Schlaf gut gebrauchen.«
Jago kam mit Murdochs Scotch. Der Alte hob das Glas vor sichtig ans Licht und begutachtete den Inhalt mit Kennermiene. »Wie, zum Teufel , bringen Sie das nur fertig , Lieutenant?« »Ach , ich lasse den Leuten hier gelegentlich ein paar Flaschen zukommen , deshalb haben sie immer eine für mich unter der Theke stehen.«
»Wie geht's Onkel Carey? Das haben Sie mir immer noch nicht gesagt« , beschwerte sich Janet.
Bedächtig fragte er zurück: »Haben Sie schon Arbeit für ihn?
Gibt's was Neues?«
»Ja , so könnte man es nennen.«
Er nickte. »Sein einziges Problem.«
»Aber sicher nicht das , was er sich wünscht. Kein Prisenkom mando mit gezogenem Säbel , wenn Sie verstehen , was ich meine.«
»Das habe ich befürchtet.« Murdoch seufzte. »Er ist - wie soll ich es ausdrücken? -tatendurstig. Das bedeutet ihm , glaube ich , alles. Ein Jammer , daß er nicht mal eine Weile stillsitzen kann. Dabei hat er eine gute Frau , die ihm liebend gern die Hand halten würde.« »Jean?« »Ich hatte den Eindruck.«
»Das wäre wirklich das beste für ihn.« Janet freute sich für den Onkel. »Ich will mal sehen, was ich da machen kann.« »Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten, Mäd chen«, erwiderte er freundlich. »Manche Dinge wachsen besser von selbst.« Jago freute sich ungemein, daß sie von dem Alten eins drauf gekriegt hatte. Unter dem Tisch versetzte sie ihm einen Tritt. »Wann wollen wir aufbrechen?«
»So gegen zwei Uhr nachts , falls Ihnen das recht ist. Dann ha ben wir Flut. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muß fort. Habe meiner Schwester versprochen, bei ihr zu essen.« Aus einer Innentasche holte er eine uralte Nickeluhr und warf stirnrunzelnd einen Blick auf das Zifferblatt. »Ich hätte schon vor zehn Minuten bei ihr sein sollen. Die wird mir das Fell über die Ohren ziehen. Ist schrecklich unwirsch, seit ihr Mann letztes Jahr gestorben ist.«
»Haben Sie es weit?« Jago erhob sich. »Ich könnte schnell den Jeep holen gehen.«
»Danke, ist gleich oben an der Hauptstraße. Nur ein paar Schritte. Wir sehen uns hier um halb zwei wieder.«
Er drängte sich durch die dicht besetzte Bar, ging hinaus , und Jago nahm wieder Platz. »Ein prachtvoller alter Mann! Schade, daß du dem jungen Lachlan gegenüber so großzügig warst. Jetzt ist ein schönes, weiches Bett sinnlos verschwendet.« »Mildtätigkeit gehört zu meinen hervorstechendsten Charak terzügen.« Er beugte sich über den Tisch und bot ihr eine Ziga rette an . »Zufällig bin ich aber ein fürsorglicher junger Mann und habe ein Sonderabkommen mit dem Wirt.« »Irgendwie hatte ich mir das gedacht.«
»Du weißt schon: Seemann im Hafen, und so weiter. Muß ir
gendwo sein müdes Haupt betten. Allerdings ist ein kleiner
Haken dabei. Es gibt nur ein Bett.«
»Und eins durch zwei geht nicht?«
»Ich war schon immer schlecht im Rechnen.« »Ich auch.«
Sie standen auf und gingen in die Halle hinaus. Ein Windstoß
peitschte Regenschauer gegen die Haustür, und Janet, eine Hand schon am Treppengeländer, blieb noch einmal stehen. »Scheußliche Nacht für die, die jetzt draußen sein müssen.« »Da jagt man keinen Hund vor die Tür«, erwiderte er fröhlich. »Wie meine Großmutter zu sagen pflegte.«
»Ich dachte eigentlich eher an Gericke«, antwortete sie, drehte sich um und stieg die Treppe hinauf.
Gericke war tatsächlich eingeschlafen. Als er dann plötzlich aufschreckte, mußte er feststellen, daß gut zwei Stunden ver gangen waren. Aber das war nicht weiter schlimm,
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