Feindfahrt
denn die Matrosen auf der Pier waren erst gegen eins mit dem Ausladen fertig. Die Lichter wurden gelöscht, und die Lastwagen fuhren davon.
Jetzt lag alles totenstill. Irgendwo in der Ferne bellte ein Hund. Gericke wartete noch eine Viertelstunde, um ganz sicherzuge hen, daß niemand zurückkam; dann wagte er sich aus dem Schutz der geparkten Lastwagen heraus und schlich vorsichtig zum Pier hinunter. Er hielt sich sorgfältig im Schatten, blieb stehen, um seine Seestiefel auszuziehen, und stopfte die weiße Mütze unter den Regenmantel. Das leise Stimmengemurmel, das er hörte, kam von den beiden Wachtposten des Kanonen boots, deren Zigaretten er im Ruderhaus glimmen sah. Lautlos, auf Strümpfen, schlich er weiter, an dem Kümo und den Fi scherbooten vorbei.
Das Motorboot war am Fuß einer Steintreppe festgemacht. Er kletterte über die Reling, stellte behutsam seine Stiefel ab und stieg, die Mauser schußbereit in der Hand, den Niedergang hinab. Unten gab es einen ziemlich großen Salon, achtern eine Kabine mit zwei Kojen, beide leer, sowie eine kleine Toilette. Die Kombüse war vorn. Alles perfekt . Er suchte ein Handtuch, trocknete sich die Füße, stieg dann den Niedergang wieder hin auf und zog die Stiefel an . Dann inspizierte er das Ruderhaus. Dies war bestimmt kein Fischerboot, soviel stand fest. Es muß te einem reichen Mann gehören. Penta-Benzinmotor. Doppel schrauben, Tiefenmeßgerät , automatische Steuerung. Boote dieser Art hatten normalerweise eine Reichweite von sieben- bis achthundert Meilen , vielleicht sogar mehr. Es kam darauf an , wie voll die Tanks waren.
Er fand den entsprechenden Anzeiger und stellte fest , daß die Tanks fast voll sein mußten. Was er jetzt brauchte , war ein Riemen , damit er das Boot aus dem Hafen pullen konnte , ehe er den Motor anwarf. Vorsichtig trat er aufs Deck hinaus , um sich sofort wieder ins Ruderhaus zurückzuziehen , weil er meh rere Stimmen und auf der Pier Schritte hörte. Tief in den dunk len Schatten gedrückt , wartete er darauf , daß die Leute stehen blieben - vielleicht bei einem der Fischerboote. Obwohl er , merkwürdig schicksalsergeben , ahnte , daß sie ausgerechnet zu diesem Boot kommen würden.
Jemand lachte laut auf in der Nässe draußen: heiser, unver kennbar, vertraut. Und Gericke lächelte ungläubig, als er Janet Munro sagen hörte: »Kannst du denn nie etwas ernst nehmen, Harry?«
»Nur, wenn's unbedingt nötig ist«, gab Harry Jago zurück. »Wissen Sie was , Murdoch? Ich hab' da eine großartige Idee. Sie suchen sich die Stelle zwischen Fhada und Mallaig aus , wo das Wasser am tiefsten ist , wickeln ihr mindestens achtzig Pfund Eisenketten um die Beine und werfen sie kurzerhand über Bord. Dann wäre die Welt für uns alle erheblich gemütli cher , schätze ich.« »Du Mistkerl!« schimpfte Janet lachend.
»Geben Sie acht , Mädchen« , warnte Murdoch sie vorwurfsvoll. »Wenn Sie sich nicht ein bißchen sittsam benehmen, werde ich den Vorschlag des Lieutenants befolgen.«
Gericke war längst außer Sicht. Er hatte sich lautlos den Nie dergang hinuntergeschlichen.
1O
Schonerbark DEUTSCHLAND, 23. September 1944. 53° 59' nördl. Breite, 16° 39' westl. Länge. Wind NW 6-7. Sturm bat um Erlaubnis, die Segel zu ref fen, denn wir nehmen so viel Wasser über, daß das Leben für die Passagiere äußerst unbequem geworden ist. Ich verweigerte die Erlaubnis, da ich jetzt soviel Fahrt wie nur möglich brauche.
Jago knipste im Salon das Licht an. Die Verdunklungsvorhän ge waren zugezogen; als Janet ihm folgte, drehte er sich zu ihr um. »Hübsch ist es hier. Übrigens, wo sollen die hin?« »In die Achterkabine«, antwortete sie.
Mit dem Fuß stieß er die Tür auf und warf ihre Koffer samt Arzttasche auf eine Koje. Als er in den Salon zurückkehrte, kam Lachlan, das Gewehr über der Schulter, einen Seesack unter dem Arm, den Niedergang herab.
Der junge Mann zog ein Gesicht. »Ehrlich, Doktor, mir ist jetzt schon ganz schlecht.«
Er warf seinen Sack auf den Fußboden; Janet nahm ihm das Gewehr ab und schob es unter ein Sitzbankpolster, damit es nicht zu sehen war. »Ich hasse die Dinger. Keine Angst , Lach lan , ich habe Tabletten in meiner Tasche. Davon nehmen Sie ein paar , dann können Sie sich hinlegen und während der Über fahrt durchschlafen.«
Der junge Soldat ging in die Kombüse , und Janet wandte sich Jago zu. »Das war schon immer so mit ihm , schon als Kind. Du wirst es nicht glauben , aber sein Vater war Kapitän
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