Feindfahrt
Küstenstraße hinunter, würde ihn die höchstens nach Mallaig führen - und hierher wird er be stimmt nicht kommen.« »Aber wohin kann er denn überhaupt?«
»Nicht sehr weit, denn es gibt hier nichts anderes als Mallaig. Wie Sie sehen, führen nur eine einzige Straße und die Bahn strecke hierher. Es ist lediglich eine Frage der Zeit. In diesem Wetter kann er sich da oben nicht lange halten.« Jago nahm ihren Koffer.
»Ich bringe dich ins Hotel.« Murray schüttelte ihnen die Hand. »Ich werde Ihnen Bescheid geben, sobald Murdoch eintrifft. Gute Reise.« Dann kehrte er ins Büro zurück. Janet und Jago gingen, die Köpfe vor dem Regen gesenkt, zum Bahnhof von Mallaig zurück.
»Was wird nun mit Lieutenant Fisher?« erkundigte sich Janet. »Der wird wahrscheinlich nach Cape Wrath versetzt.« »Und mit Carver?«
»Der wird zunächst im Marinelazarett zusammengeflickt . Das muß ein Anblick gewesen sein! Gericke hat ihn wirklich gründlich auseinandergenommen. Mit seiner Karriere ist es natürlich aus. Ich will nicht sagen, daß er im Knast landet, aber degradiert wird er bestimmt.«
Als sie auf der Höhe des Bahnhofs waren, rief ihnen eine Stimme zu: »Dr . Munro?«
Ein junger Fallschirmjäger in rotem Barett und gefleckter Tarn jacke kam über die Straße auf sie zugelaufen. »Ja, Lachlan!« sagte Janet erfreut.
»Waren Sie auch mit in unserem Zug?« Dann wandte sie sich an Harry Jago.
»Das ist Lachlan MacBrayne, Harry. Er ist ebenfalls von Fha da.«
»Ach, wirklich?« Jago reichte ihm die Hand. Lachlan war achtzehn Jahre alt, aber sein rotes Kraushaar , die Sommer sprossen und die Stupsnase ließen ihn noch jünger erscheinen. »Vierzehn Tage Heimaturlaub. Gerade mit der Sprungausbil dung fertig. Murdoch sollte mich abholen, aber als ich im Ha fen nachfragte, war er noch nicht eingetroffen.«
»Er will mich auch mit rübernehmen«, erklärte Janet. »Ich werde im Hotel auf ihn warten. Wir sollen Bescheid kriegen, sobald er kommt. Wollen Sie sich uns nicht anschließen?« Lachlan blickte verlegen zu Jago hinüber. »Geht das in Ord nung, Sir?«
»Aber ja«, antwortete Jago. »Holen Sie Ihr Gepäck und kom men Sie nach.«
Der junge Fallschirmjäger lief wieder über die Straße. Als Ja net und Jago vor dem Hotel stehenblieben, verstärkte sich der Regen vorübergehend zum Wolkenbruch, und Janet sah in Richtung der Gipfel am anderen Ufer des Loch Morar, die im Nebel verborgen lagen.
»Ich glaube kaum, daß es an einem solchen Tag da oben allzu gemütlich ist«, meinte Jago.
»Und ich würde sagen, du untertreibst.« Gemeinsam betraten sie das Hotel.
Gericke befand sich knapp nordwestlich des Sitheon Mor. Sein Ziel war Mallaig, denn ein anderes gab es hier nicht; er hatte die Seekarten der Westküste Schottlands lange genug studiert, um sich darüber klar zu sein. Er brauchte nichts weiter zu tun, als geradeaus zu marschieren, direkt über den Berg, anschlie ßend zum Loch Morar hinab, den man sogar bei schlimmstem Wetter nicht verfehlen konnte , und dann weiter am Wasser entlang zur Küstenstraße. Daß er länger als einen Tag in Frei heit bleiben konnte , erschien ihm höchst unwahrscheinlich , aber in Mallaig gab es wenigstens Schiffe . Eine ganz winzige Chance , so unsicher sie auch sein mochte. Außerdem tat es gut , wieder einmal frei zu sein. Das allein war schon der Mühe wert.
Nachdem er vom Zug abgesprungen war , hatte er sich berg aufwärts davongemacht und war nach etwa zehn Minuten auf einen Bergbach gestoßen. Er folgte ihm , rasch ausschreitend in dem von beiden Seiten heranrückenden Nebel , der ihm ein Ge fühl der Sicherheit gab , des geschützt seins vor der Außenwelt. Zunächst wuchsen Birken an seinem Weg , die jedoch seltener wurden, je höher er kam, bis er durch dichten Adlerfarn stapfte, der ihm stellenweise bis an die Hüften ging. Gelegentlich sto ben Moorschneehühner oder Regenpfeifer, von seinen Schrit ten aufgestöbert, aus dem Heidekraut hoch. Er machte erst nach einer Stunde Pause, um ein wenig zu Atem zu kommen. Unter einem Felsvorsprung suchte er Schutz vor dem strömen den Regen, obwohl das auch nicht mehr viel nützte, denn sein Regenmantel war völlig durchnäßt.
Bald darauf setzte er sich wieder in Marsch, und diesmal ging es sehr steil bergauf. Drei Meilen, vielleicht auch noch vier bis zum Loch, und dabei mußte er über den Berg; doch er empfand keine Müdigkeit . Der erste Überschwang des Freiheitsgefühls beflügelte ihn . Er stieg weiter, zur Flanke
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