Feindfahrt
argwöhnisch.
»Nun , über das Thema , mit dem wir im Zug aufgehört haben , wenn Sie wollen.«
Es war sehr friedlich im Ruderhaus. Janet schwang sich im Drehsessel vor dem Kartentisch von einer Seite zur anderen und beobachtete Gericke, der am Ruder stand.
»Das gefällt Ihnen, nicht wahr?« fragte sie ihn.
»Ein Deck unter den Füßen, ein Ruder in der Hand?« Er grinste breit. »Das herrlichste Gefühl der Welt. Na ja, fast.« »Können Sie eigentlich niemals ernst sein?«
»Unmöglich. Ich habe ziemlich früh erkannt, was für eine ver dammt unangenehme Sache das Leben ist. Die kein intelligen ter Mensch ernst nehmen kann. Wissen Sie, wir hatten es schwer , als ich noch klein war. Mein Vater ist an der Westfront gefallen.« »Als Soldat?«
»Als Flieger. Er war einer der ersten. Hat drei Jahre durch gehalten. Das ist ziemlich lange , aber eben nicht lange genug.« »Und Ihre Mutter?«
»Starb bei der Grippe-Epidemie 1918. Nach ihrem Tod kam ich zu ihrem Bruder in Hamburg. Einer der gütigsten Men schen , die ich je kennengelernt habe. Mathematiklehrer. Mit einem kleinen Haus in Blankenese, von dessen Fenstern aus man jedes Schiff sehen konnte, das die Elbe hinauf- oder hi nunterfuhr. Stundenlang saß ich des Nachts am offenen Fenster meines Zimmers und beobachtete die Lichter der Frachter, die von Hamburg ausliefen. Immer irgendwohin , wo es romantisch war. Und ich wollte mitfahren.« »Der Anfang einer großen Liebe?«
»Und wenn der Nebel zu dicht war , um sie zu sehen« , fuhr er fort , »hörte ich die Nebelhörner irgendwo draußen, am Ende der Welt.« Er nahm eine Zigarette aus dem Päckchen, das sie auf den Kartentisch gelegt hatte.
Janet sagte: »Als kleines Mädchen habe ich den Sommer oft bei meinem Onkel auf Cape Cod verbracht. Da gab es auch immer viel Nebel. Manchmal konnte man bei Nacht hören, wie sich die Fischerboote draußen auf See gegenseitig riefen.« Gericke nickte. »Ein einsamer Ton an einem einsamen Ort.« Sie schwang sich auf dem Drehsessel zu ihm herum. »Sie ken nen Cape Cod?«
»Ich habe dort vor der Küste zwischen Mitte März und Ende April zweiundvierzig elf Schiffe versenkt.« Um seinen Mund spielte ein Lächeln, das einige Selbstironie verriet. »Der „fröh liche" Krieg in Reinkultur . Ganze fünf Minuten lang war ich tatsächlich überzeugt, daß wir den Krieg gewinnen würden.« »Amerikanische Schiffe?«
»Alle, bis auf eins. Das war ein spanischer Tanker, der mir sozusagen in die Schußlinie geriet.«
»Also nicht mal ein Neutraler war vor Ihnen sicher«, sagte sie. Er grinste spöttisch. »Seewölfe. Habt ihr uns nicht so getauft?« »Und Sie sind auch noch stolz drauf?« Sie griff nach der Thermosflasche - aus Reflex , damit ihre Hände etwas zu tun hatten - und goß sich Tee in die Pappbecher. »Ich will Ihnen mal was sagen. Lieutenant Jago hat mir im Zug die Akten über Sie gezeigt.«
»Ein krasser Verstoß gegen die Vorschriften, würde ich sa gen.«
»Dieses spanische Schiff war ein Öltanker , die S an Cristobal aus Bilbao. Die Zeitungen haben damals einen furchtbaren Lärm gemacht , weil es ein neutrales Schiff war , aber dann stellte sich heraus, daß es vom amerikanischen Kriegsministe rium gechartert worden war. Und das wußten Sie, als Sie es versenkten?«
»Selbstverständlich.« Er beobachtete den Kompaß und legte den Kurs um einen Strich nach Steuerbord. »Warum versuchen Sie dann, mich zu täuschen?«
Weil ich dachte, das wäre die Version, die Sie am liebsten glauben würden. Der brutale Hunne, der überall Schrecken verbreitet. Der Rettungsboote mit Maschinengewehren beharkt,
aber natürlich erst, nachdem er sich vergewissert hat, daß unter
den Überlebenden keine Frauen sind, die noch „verwendungs
fähig" wären.«
»Hol Sie der Teufel, Gericke!«
»Längst geschehen.«
Sie steckte sich eine neue Zigarette an und stützte den Ellbogen auf den Kartentisch. »Sie lieben Schiffe, und trotzdem zerstö ren Sie sie.«
»Wie hätten Sie's denn gern? Vielleicht die Version, daß der Mensch das tötet, was er liebt? Also hören Sie, Doktor! Sogar der große Freud hat einmal gesagt, daß manchmal eine Zigarre nichts weiter als eine Zigarre ist.«
Er kontrollierte noch einmal den Kurs und starrte dann grimmig-verschlossen in die Finsternis. Zum erstenmal ganz ohne das sonst stets gegenwärtige Lächeln.
»Ihr Englisch«, begann sie jetzt ein wenig verunsichert, »ist wirklich ganz ausgezeichnet.«
»Wir haben eine Zeitlang in Hüll gelebt.
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