Feindfahrt
Einem Hafen an der Ostküste von England.« »Ich weiß.«
»Mein Onkel hat dort zwei Jahre Deutsch unterrichtet. Die Leute behaupten immer, daß ich mit Yorkshire-Akzent spre che. Als wir wieder nach Hause kamen, hab ich's mit der Uni versucht. Philosophie und Mathematik , weil mein Onkel das so gern wollte. Als es nicht klappte, erlaubte er mir, die Schiffs jungenschule zu besuchen. Anschließend fuhr ich dann als Mo ses auf einem Rahsegler.« »Eine sehr harte Schule.«
»Unser Freund Carver hatte heute früh Gelegenheit, das festzu stellen. Eine Zeitlang segelte ich auf Clippern. Salpeter von Chile, Getreide von Australien um Kap Hoorn herum. Dann war ich Dritter Offizier auf einem Frachter, um meine Naviga tionskenntnisse zu vervollständigen. Als ich mein Kapitänspa tent für Segel- und Dampfschiffe bekam, war ich ganze drei
undzwanzig.« »Und dann?«
»Niemand wollte mich. Ich bin in ganz Hamburg rumgelaufen, habe bei jedem Schiffseigner angefragt, den ich auftreiben konnte - ohne Erfolg. Die Zeiten waren zu schlecht, die De pression auf ihrem Höhepunkt. Treffpunkt für meine Freunde und mich war eine Bar in der Davidstraße, S tern Davids hieß sie. Der Besitzer war als Bootsmann auf Segelschiffen gefah ren und gab uns Kredit. Schließlich heuerte ich als Erster Maat auf einem Clipper an, der den ganz großen Törn machte. Chile, die Staaten, dann rüber nach Australien und wieder nach Hau se. Als ich zurückkam, war alles anders.« »Wieso?«
»Es war neunzehnhundertdreiunddreißig, und die Kriegsmarine bot allen Offizieren der Handelsmarine den gleichen Rang. Ich konnte gar nicht schnell genug nach Stralsund kommen, um mich registrieren zu lassen.«
»Und zu lernen, wie man Schiffe versenkt?« »Jedenfalls ein Beruf.«
Eine Weile schwiegen beide. Der Wind hatte gedreht, und das Wasser stieg; die Katrina wiegte sich auf den Wellen. Janet fragte sehr behutsam: »Und die Frauen? Eine Familie? Davon haben Sie nichts erwähnt. Haben die keinen Platz in Ihrem Le ben gehabt?«
»Eigentlich nicht. Frauen - ja. Aber der Landurlaub dauert sel ten lange genug, um bleibende Beziehungen anzuknüpfen.« »Nur Schiffe, die sich nachts begegnen?«
»Kein guter, aber immerhin ein Vergleich. Und außerdem ist es offenbar eine fatale Gewohnheit der wichtigsten Dinge im Le ben, daß sie sich ausgerechnet dann ereignen, wenn der Au genblick am ungünstigsten ist. Meinen Sie nicht?«
Er drehte sich zu ihr um. Sie spürte eine merkwürdige Erre gung, ein Bedürfnis, tief durchzuatmen. Und dann traf eine unerwartet heftige Bö die Katrina und drückte sie nach Back bord herum. Janet fiel von ihrem Sitz. Gericke kämpfte mit dem Ruder und brachte das Boot schließlich wieder auf Kurs. »Alles in Ordnung?«
Janet rappelte sich mühsam auf; sie war bleich und zitterte. »Ja, aber ich gehe lieber mal runter und sehe nach den anderen.« Sie zögerte, angestrengt in die Dunkelheit spähend . »Glauben Sie, daß es schlimmer wird?«
»Wahrscheinlich. Ich werde auf automatische Steuerung schal ten und mit Ihnen nach unten gehen.«
»Ist es denn nicht zu gefährlich, sich bei diesem Wetter auf so ein Ding zu verlassen?«
»Sicher nicht so gefährlich, wie es wäre, wenn ich Sie allein unter Deck gehen ließe.«
Unversehens schlüpfte sie zur Tür hinaus und war verschwun den . Gericke fluchte, fixierte die automatische Steuerung und eilte ihr nach - zu spät, denn als er den Salon betrat , hatte sie bereits Lachlans Lee-Enfield-Gewehr in der Hand . Sie legte den Sicherungshebel um , lud durch und trat zurück. »Geladen , nehme ich an« , sagte Gericke.
»Worauf Sie sich verlassen können« , antwortete Lachlan , der sich aufrichtete. Gericke zog seine Mauser und richtete sie auf Janet. »Patt, würde ich sagen - oder?«
»Zwingen Sie mich nicht, abzudrücken«, sagte sie rauh. »Das werde ich nämlich tun, wenn's sein muß, und auf diese Entfer nung kann ich wohl kaum danebenschießen.«
Sie wirkte entschlossen, aber sie empfand auch eine Art Panik, denn sie wußte genau, was immer geschah, er würde niemals abdrücken. Unvermittelt trat ein bittender Ausdruck in ihre Augen. Gericke nickte verständnisvoll und legte die Mauser auf den Tisch. »Na ja«, sagte er leichthin, »es war jedenfalls schön, solange es dauerte.« Dann verschränkte er die Hände hinter dem Kopf.
Richter lag flach auf dem Bauch und untersuchte tief unten im Schiff die Bilgen mit Hilfe einer Sturmlaterne. Die Pumpen hatten zwei Stunden lang
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