Feindgebiet
im Ultraschallbereich beschränkt, mit denen ihre Anführer und Wachtposten die Brüder und Schwestern in den Kolonien warnten und schützten. Der Vorteil lag darin, dass sie von keinem potentiellen Feind gehört wurden. Leider hieß das gleichzeitig, dass die Struth ebenfalls nicht hören konnten, wenn sich ein Feind näherte.
Die Struth waren bereits bis auf wenige große Kolonien zusammengeschrumpft, als sie schließlich auf einen kleinen Subkontinent flohen. Dort gab es viele kleinere Tiere mit süßem Fleisch, köstliche Früchte und keine natürlichen Feinde – das reinste Struth-Paradies. Im Laufe vieler zufrieden und im Überfluss lebender Generationen wurden die Struth immer größer und schwerer, bis sie schließlich die Fähigkeit zu fliegen verloren. Ihre kleinen Flügelklauen entwickelten sich zu anmutigen gefiederten »Händen«, die sich hervorragend zum gegenseitigen Putzen sowie zum Früchtepflücken eigneten; außerdem konnte man mit ihnen beim Jagen einen großen Stock schwingen oder Steine werfen – und man konnte mit ihnen sprechen.
Doch auch dieser paradiesische Zustand dauerte nicht endlos.
In der neuen Heimat wurde es bald unmöglich, die althergebrachten großen Kolonien weiterzuführen. Allein der Aufwand der Nahrungsbeschaffung machte es weitaus rentabler, sich in kleinen, kooperierenden Gruppen zu organisieren. Das wiederum bedeutete, dass sie eines komplexen Kommunikationssystems bedurften.
Die Zeichensprache wurde geboren. Zunächst beschränkte sie sich auf einige wenige, wichtige Grundaussagen: Leckeres Tier unter Stein. Du hebst hoch. Ich schnappe es. Wir teilen . Doch schon bald entwickelte sich daraus eine flinke und vielseitige Sprache. Mit einem Male waren überlegene Zeichensprecher angesehener als jeder Struth mit noch so herrlichen Schwanzfedern. Schließlich gelang es den Philosophen unter ihnen, auch die abstrakteste Vorstellung mit nur wenigen einfachen Symbolen auszudrücken. Die sanftmütigen Struth standen kürz davor, ihre Zeichensprache in eine schriftliche Form zu bringen, als das Verhängnis seinen Lauf nahm.
Zwischen ihrem Paradies und einer weitaus größeren Landmasse hatte sich eine Brücke gebildet. Zunächst flohen nur einige schwächere Tiere darüber, denen nach und nach und dann in immer größeren Wellen riesige Herden von grasenden Kreaturen folgten. Die Raubtiere ließen nicht lange auf sich warten. Die Struth waren eine leichte Beute. Nachdem sie Tausende von Jahren in relativer Sicherheit gelebt hatten, standen sie plötzlich wieder ganz oben auf der Speisekarte. Und wieder blickten sie der Ausrottung der eigenen Spezies entgegen.
Diesmal konnten sie jedoch auf ein größeres Verteidigungsarsenal zurückgreifen. Die beiden wichtigsten Eigenschaften, die sie nach ihrer Flucht entwickelt hatten, waren Kooperation und Sprache. Die Struth teilten sich in noch kleinere Gruppen. Sie lernten, ihre Nester an den unwegsamsten Stellen zu bauen. Sie bildeten Zweierteams zur Nahrungssuche. Das erwies sich als die ideale Anzahl, mit der man jedem Feind begegnen konnte. Ein Struth hielt immer Wache, während der andere arbeitete. War ihnen die Flucht unmöglich, konnten sie den Angreifer gemeinsam töten.
Kleinere Kolonien bedeuteten jedoch auch, dass die Nestlinge für längere Zeiten unbewacht zurückgelassen werden mussten. Die Frage lautete: wie brachte man die Jungen dazu, in den sicheren Nestern zu bleiben? Die Antwort war einfach: man jagte ihnen eine höllische Angst ein. Die Geistergeschichte wurde erfunden. Die Geistergeschichten der Struth drehten sich immer um einen jungen Nestling, der die Warnungen seiner Eltern und seiner vorsichtigeren Geschwister in den Wind schlug und abenteuerlustig das Nest verließ. Er wurde ausnahmslos gefressen. Einer der beliebtesten Schurken war das Krallending, das aus dem Himmel herabstürzte und den kleinen Struth in sein eigenes Nest schleppte, wo die jungen Krallendinger bereits darauf warteten, den kleinen Struth bei lebendigem Leib aufzufressen. Ein anderer Bösewicht war Großzahn. Dieses Biest lauerte angeblich den ganzen Tag über im Gebüsch und wartete auf Gruppen ungehorsamer Struthjungen. Großzahn schnappte sie sich, wenn sie gerade sorglos spielten, fraß sich rasch selbst satt und fesselte die anderen, damit sie nicht weglaufen konnten. Dann holte Großzahn seine Rudelgenossen, und gemeinsam kehrten sie zum großen Festschmaus zurück.
Die Geistergeschichten erfüllten ihren Zweck. Die Nestlinge
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