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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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Situation gründlich mißverstand. »Willy ist mein Mann.«
    »Und zum Schlafen legen Sie ihn in eine Wiege?« Mrs. Coppett nickte.
    »Und schlafen tut er nicht mit Ihnen?«
    Mrs. Coppett schüttelte den Kopf. »Er fühlt sich so wohl in seiner Wiege«, sagte sie.
    Mit dem Eifer einer empörten Feministin richtete sich die Frau auf. »Das mag sein, wie es will. Aber wenn Sie meine Meinung hören wollen, dann ist Ihr Mann eindeutig sexuell unzulänglich und pervers.«
    »Wirklich?« staunte Mrs. Coppett. »Das habe ich nie bemerkt.«
    »Nein. Und das werden Sie wohl auch kaum, solange diese unnatürliche Beziehung andauert. Ihr Mann braucht unbedingt einen Psychiater.«
    »Einen was?«
    »Einen Arzt, der sich mit seelischen Problemen beschäftigt.«
    »Er ist schon bei so vielen Ärzten gewesen, aber die können ihm auch nicht helfen. Wie sollten sie auch? Er ist halt nun mal so.«
    »Das hört sich an, als wäre er wirklich unheilbar. Und Sie wollen ihn nicht verlassen?«
    In diesem Punkt war Mrs. Coppett hartnäckig. »Nie. Der Pfarrer hat gesagt, wir müssen zusammenbleiben, und der Pfarrer hat immer recht, oder?«
    »Möglicherweise war er sich über die Verfassung Ihres Mannes nicht im klaren«, sagte die Eheberaterin, wobei sie ihren Atheismus im Interesse der Sache ausklammerte. »Muß er schon, glaube ich«, sagte Mrs. Coppett. »Schließlich hat er ihm vorgeschlagen, im Knabenchor mitzusingen.« Die Frau kniff die Augen zusammen. »Und hat Ihr Mann mitgemacht?«
    »Aber ja. Er mag das gern, Verkleiden und so was.«
    »So, das kann ich mir vorstellen«, sagte die Eheberaterin, während sie beschloß, auf dem Rückweg zum Rathaus die Polizeiwache aufzusuchen. »Nun, meine Liebe, wenn Sie ihn nicht verlassen wollen, dann kann ich Ihnen nur den guten Rat geben, daß Sie sich ein anständiges, gesundes Sexualleben extra matrimonium, also im Rahmen einer außerehelichen Beziehung zulegen. Das kann Ihnen wirklich niemand verübeln.« Und mit diesem zweifelhaften Ratschlag stand sie auf und verabschiedete sich. Bis Willy an diesem Abend nach Hause kam, hatte Mrs. Coppett das »außerehelich« längst vergessen.
    Sie wußte nur, daß die Dame gesagt hatte, sie brauchte »extra«. »Was für ein Extra?« fragte Willy, während er Eier und Schinken hinunterschlang.
    Mrs. Coppett kicherte. »Du weißt schon, Willy. Was wir freitags im Bett machen.«
    »Ach das«, sagte Willy, der insgeheim fürchtete, an einem dieser Freitage endgültig zerquetscht zu werden oder zu ersticken.
    »Macht es dir nichts aus?«
    »Wenn diese Ehemenschen das sagen, kann ich ja wohl wenig dagegen tun, selbst wenn es mir etwas ausmacht«, sagte Willy nachdenklich. »Ich möchte nur nicht, daß die Nachbarn es erfahren.«
    »Das würde ich ihnen im Leben nie erzählen«, sagte Mrs. Coppett. Und von da ab machte sie Jagd auf Extras – ebenso beharrlich und erfolglos wie die Polizei, die den Pfarrer und die Chorknaben nicht aus den Augen ließ. Nicht, daß Rosie wirklich Extras wollte, aber wenn die Dame darauf bestand, dann war es wohl ihre Pflicht.
    Und nun war ein Gentleman gekommen und hatte gesagt, er wolle auch Extras, und er war ein echter Gentleman. Mrs. Coppett konnte das beurteilen. Gentlemen trugen komische kurze Hosen und redeten wie die klugen Leute in der Sendung »Noch Fragen?«, die sie nie verstand. Mr. Yapp war genau wie sie und gebrauchte auch so lange Wörter. Und so traf Mrs. Coppett, während Willy sich in den Pferdekutscher begab, wo er sein Freibier zum Teil damit verdiente, daß er hinter oder vielmehr unter dem Tresen Gläser abtrocknete, Vorbereitungen für Extras. Sie holte ihr hübschestes Nachthemd heraus, schminkte sich, wobei sie besondere Sorgfalt auf die grünen Augenlider verwendete, und studierte mehrere Anzeigen in einem drei Jahre alten Cosmopolitan, um Entscheidungshilfe bei der Lippengestaltung zu finden. Nachdem dies erledigt warwandte sie sich dem Thema Strumpfhalter zu. Die Mädchen in ihren Schicksalsromanen trugen immer welche, auch wenn sie sich nicht recht vorstellen konnte, wozu. Andererseits gehörten sie offenbar zu den Extras, und womöglich fühlte sich Mr. Yapp vor den Kopf gestoßen, wenn sie keinen trug. Das einzige Problem war, daß sie gar keinen hatte. Mrs. Coppett kramte in ihrem winzigen Hirn nach einem Ersatz und förderte schließlich ein Korsett ihrer Mutter zutage, das diese, kurz bevor sie bettlägerig geworden war, gekauft, aber nie getragen hatte. Wenn sie das auseinanderschnitt

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