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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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irgendwelche Informationen lieferte. Und dann waren da noch die irischen Petrefacts, die jedoch einen derart weit entfernten und finanziell völlig gekappten Zweig der Familie darstellten, daß sie sie sofort ad acta legte.
    Nein, die eigentliche Gefahr lauerte bei den direkten Nachkommen von Ururgroßvater Samuel Petrefact, der die Mühle erbaut und damit jenen entscheidenden Sprung vom reichen Großgrundbesitzer zum Wirtschaftsmagnaten vollzogen hatte, der für die heutige Familie im Petrefact-Konzern gipfelte. Nicht nur Gefahr schlummerte dort, sondern auch jene Charakterschwäche, die sich im Handeln ihres Bruders so deutlich manifestierte. Es kam ihr vor, als habe die Verlagerung des Betätigungsfeldes eine Mutation der Familienkonstitution bewirkt oder als sei, um ein Bild zu gebrauchen, das ihr als Rosenzüchterin geläufiger war, an einem Ast des Stammbaums eine »Knospenvariation«, ähnlich Kathleen Harrop bei Zéphirine Drouhin, aufgetaucht – nur daß Knospenvariationen Verbesserungen bedeuteten, was man bei Ronald wahrhaftig nicht behaupten konnte. Dieser Gedanke irritierte sie um so mehr, als, wenn ihr Bruder dieses Erbe in sich trug, sie selbst wohl kaum davon verschont geblieben sein konnte. Mit einem Lächeln, das sehr viel mehr Selbsterkenntnis verriet, als ihre Bekannten ihr zugetraut hätten, schloß sie die Türen zum Garten, drehte das Licht ab und ging zu Bett. Unter dem Tresen des Pferdekutschers verbrachte Willy Coppett einen angenehmen Abend. Er konnte da unten seine Gläser abwaschen und trocknen, ohne gesehen zu werden, konnte sich Flaschenbier einverleiben, wenn ihm danach zumute war, und vor allem konnte er die Gespräche, die über seinem Kopf geführt wurden, mithören, ohne sich daran beteiligen zu müssen. So hatte er mitbekommen, wie Mr. Parmiter damit protzte, daß er seinen alten Vauxhall an einen Professor vermietet und dabei anständig profitiert habe. »Er braucht ihn nur für eine Woche, sagte er, aber gezahlt hat er, ohne mit der Wimper zu zucken, für einen Monat. Diese gelehrten Typen haben ungefähr soviel Ahnung vom Geschäft wie ich von Latein.«
    »Merkwürdig«, meinte Mr. Groce, der Wirt. Willy unter dem Tresen kam es auch merkwürdig vor. Er hatte Mr. Parmiters alten Vauxhall vor dem Haus stehen sehen, als er vom Schlachthof nach Hause kam, aber daß der neue Untermieter ein Professor war, hatte er nicht geahnt. Ausgesehen hatte er jedenfalls nicht danach, mit seinen komischen kurzen Hosen und den Wanderstiefeln. Und daß ein Professor sich ausgerechnet sein Haus als Quartier ausgesucht hatte, war mehr als verwunderlich. Seltsam, sehr seltsam. Als Mr. Parmiter erwähnte, daß Professor Yapp kurze Hosen trug, zerstreute das auch seine letzten Zweifel.
    »So altmodische Dinger, wie man sie uns damals in der Wüste verpaßt hat. Rutschten immer in die Kniekehlen, und wenn man sich bückte, damit einem die deutschen Saukerle den Kopf nicht zu Brei schossen, hatte man den Sand im Hintern.« Willy dachte unter dem Tresen über die schauderhafte Möglichkeit nach, daß der Professor nur deshalb in der Rabbitry Road 9 wohnte, um ihn als medizinisches Studienobjekt zu mißbrauchen. Das war die einzige Erklärung, die er finden konnte. Und sie mißfiel ihm ganz und gar. Er war schon von so vielen Ärzten untersucht worden, daß es ihm für den Rest seines Lebens reichte. Insgeheim befürchtete er, daß es eines Tages möglich sein würde, ihm die untere Hälfte eines besonders großen Körpers zu transplantieren, um ihn auf eine normale Größe zu bringen. Das war schön und gut für Zwerge, denen das gefiel, aber zu denen gehörte er nicht. Schaudernd griff sich Willy unter dem Tresen die nächste Bierflasche.
    Seine Befürchtungen waren jedoch nichts im Vergleich zu der Bestürzung, die im Sozial-Konservativen Arbeiterclub von Buscott herrschte. Es war charakteristisch für diese kleine Stadt, daß es gelungen war, alle Farben des politischen Spektrums in einer einzigen Institution zusammenzufassen. Einerseits hatte dies den Vorteil der Wirtschaftlichkeit, andererseits wurden dadurch die körperschaftliche Einigkeit aufrechterhalten und politische Rangeleien, wie es sie in anderen kleinen Städten gab, vermieden. Tatsache war, daß es in Buscott weder Politik noch einen Parlamentsabgeordneten gab, und da die Grafschaft unverbrüchlich Tory wählte, bedurfte es nicht mehr als eines Lippenbekenntnisses zur Partei, das in der Zugehörigkeit zu eben jenem allumfassenden Club

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