Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 1
gleich bei seinem ersten Auftritt bei Hofe
mit Lachen und Verachtung begrüßt würde.
Aber als seine Kutsche an dem betreffenden Abend vor
dem Palasttor eintraf, konnte er auch andere junge Männer in
entsprechend absurder Kleidung sehen. Sehnsüchtig dachte er
an die schlichten Ledersachen und die Felljacken, die seine
Leute im Winter in den Bergen getragen hatten, und daran,
wie sie im Sommer fast nackt herumgelaufen waren. Während
er die Treppe zum Palast hinaufging, kam Tal zu dem
Schluss, dass so etwas wie Mode nur eine Verschwörung der
Schneider war, um den Adligen überzähliges Gold abzunehmen. Er kannte sich mit solchen Dingen inzwischen genügend
aus, um zu wissen, dass sein derzeitiger Aufzug in Salador
oder Roldem schon in einem Jahr vollkommen altmodisch
sein würde, ersetzt durch ganz neue Stile.
Tal reichte seine Einladung dem Junker, der dafür zuständig war, dass keine uneingeladenen Gäste bei Hofe erschienen. Der Junker wurde von mehreren Palastwachen unterstützt, die zwar die feine rotgoldene Livree des Palastes trugen, aber durchaus so wirkten, als wären sie im Stande, eine
Invasion zurückzuschlagen, von einem einzelnen uneingeladenen Gast ganz zu schweigen. Dann wurde Tal ein Page zugeteilt, der ihn in die Haupthalle führen sollte. Auf dem Weg
dorthin sagte der Page: »Sir, der König hat erklärt, dass es
heute Abend keine offizielle Sitzordnung geben wird. Die
Gäste werden sich am Buffet bedienen.«
Talon kannte das Wort nicht und musste seine Erinnerung
danach durchforsten. »Bü-feh«, sagte er leise. Der Junge zeigte auf die langen Tische an der Seite des Saals, die sich unter
Tabletts mit Essen bogen, und auf Diener, die mit Bier- und
Weinkrügen durch die Räume eilten und den Gästen die Becher nachfüllten. Wohin er auch schaute, erblickte er Menschen in grellbunter Kleidung, die sich miteinander unterhielten. Einige von ihnen hielten einen Teller in der einen Hand
und aßen mit der andern.
Dann fiel es ihm wieder ein: Buffet war ein Wort aus dem
Königreich, aus dem Dialekt von Bas-Tyra. Und es bedeutete,
dass man im Stehen aß, was man sich von einem Tisch geholt
hatte. Manchmal bildet man sich nur ein, eine Sprache vollkommen zu beherrschen, erinnerte er sich.
Er ging durch den Saal, bemerkte ein halbes Dutzend vertrauter Gesichter und lächelte und verbeugte sich, während er
weiter auf die Tische mit dem Essen zuschlenderte. Was immer er sich auch an Essbarem vorstellen konnte, war dort aufgetischt worden, von geräuchertem Wildgeflügel und gewürzten Eiern über Gemüse, das auf jede erdenkliche Weise zubereitet war – von frisch aus dem Kessel bis eingelegt und Käse
und Obst – einiges davon sehr teuer, weil überhaupt nicht der
Jahreszeit entsprechend – bis hin zu Gebäck und Nachspeisen.
Tal griff nach einem Teller, stellte fest, dass er leichter war,
als er erwartet hatte, und eine rasche Untersuchung zeigte,
dass es sich um eine Alt fester Keramik und nicht um Steingut
oder Metall handelte. Er war von Hand mit dem königlichen
Wappen von Roldem bemalt – einem Delfin, der sich aus den
Wellen erhebt und über einen Stern springt. Das alles war
ziemlich beeindruckend.
Eine Stimme rechts von ihm sagte: »Ziemlich beeindruckend, wie?«
Tal drehte sich um und sah Quincy de Castle, einen Kaufmann aus Bas-Tyra, mit dem er hin und wieder Karten gespielt hatte. »Könnt Ihr Gedanken lesen?«, fragte er lächelnd.
»Nein«, antwortete der Kaufmann. »Wenn ich das könnte,
hätte ich nicht so viel Geld an Euch verloren, Tal. Nein, ich
habe gesehen, wie Ihr den Teller bewundert habt, und erraten,
was Ihr denkt.«
»Wirklich ziemlich beeindruckend«, wiederholte Tal.
»Nun, es heißt ja immer, König zu sein erlaubt einem, sich
mit hübschen Dingen zu umgeben.«
In diesem Augenblick schlug der Zeremonienmeister mit
dem eisenbeschlagenen Ende seines Amtsstabs auf den Boden. »Meine Damen und Herren – der König!«
Alle Augen wandten sich dem Durchgang zu, der von den
königlichen Gemächern in die Halle führte, und da kam König Carol der Sechste auch schon hereinstolziert. Er war mittleren Alters, wirkte aber immer noch so gesund und lebhaft
wie ein Fünfundzwanzigjähriger, und er führte eine rundliche,
freundlich aussehende Dame mit einer kleinen Krone am
Arm. »Die Königin und die Königliche Familie!«, verkündete
der Zeremonienmeister.
Alle verbeugten sich, und der König sagte: »Bitte lasst
Euch nicht stören; wir
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