Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 1
Reitern befanden sich vor ihnen,
also hatten sie das eigentliche Tor bald erreicht.
»Ho, Roderick!«, rief Caleb und zügelte die Pferde.
»Caleb!«, erwiderte ein Soldat in der dunkelgrünen Uniform der Stadt. »Bist du zum Kaufen oder Verkaufen hier?«
»Kaufen«, sagte Caleb. »Wir haben keine Ladung.«
Der Soldat winkte sie herein.
Caleb fragte: »Kann ich bei dir einen Banditen loswerden?«
Ein rasches Gespräch mit dem Soldaten führte dazu, dass
man ihren Gefangenen wegbrachte. Auch Dustin Webanks
verließ sie, um Anklage gegen den Banditen zu erheben und
versprach eine Belohnung, wenn sie am nächsten Tag zu ihm
in den Eiligen Lakaien kamen.
Caleb fuhr den Wagen weiter durch die Stadt und zu einem
Gasthaus, in dem Kendricks Leute immer übernachteten,
wenn sie in der Stadt waren. Als es dunkel wurde, erreichten
sie ein gepflegt wirkendes Gebäude mit einem großen Hof
und Ställen. Das Schild zeigte einen Mann, der mit verbundenen Augen Bälle jonglierte. Ein junger Mann etwa im gleichen Alter wie Talon kam auf den Hof hinaus, als er den Wagen hörte.
»Hallo, Caleb!«, rief er, als er erkannte, wer den Wagen
fuhr.
»Jacob«, erwiderte Caleb.
Der junge Mann war hager und schlaksig und hatte dunkelblondes Haar. Er trug ein schlichtes Baumwollhemd, eine
lederne Hose und schwere Arbeitsstiefel. Er nahm die Pferde
und fragte: »Wer ist dein Freund?«
»Talon, das hier ist Jacob.«
Talon nickte und sprang vom Wagen.
»Vater wird froh sein, dich zu sehen«, sagte Jacob. »Er hat
ein paar neue Jagdgeschichten für dich.«
»Er hat Zeit genug, um auf die Jagd zu gehen?«, fragte Caleb.
Grinsend antwortete Jacob: »Nein, aber er hat ein paar
neue Geschichten.«
Caleb lächelte. »Ist das nicht immer so?«
Sie überließen Wagen und Pferde Jacob und betraten die
Schankstube. Eine rundliche Frau lächelte, als sie Caleb entdeckte. Sie kam hinter der lang gezogenen Theke hervor und
umarmte ihn. »Caleb, du Schurke! Du warst schon viel zu
lange nicht mehr hier! Wir haben dich seit dem letzten Sommer nicht mehr zu sehen bekommen!«
Dem sonst so zurückhaltenden Jäger war nicht anzumerken, ob die Umarmung ihn verlegen machte oder nicht; er ließ
es lächelnd über sich ergehen, und als die Frau ihn schließlich
wieder losließ, sagte er: »Hallo, Angelica.« Dann zeigte er auf
seinen Begleiter. »Talon hier hilft mir bei dieser Reise.«
Plötzlich fand sich der Junge von kräftigen, duftenden Armen umschlungen und fest gedrückt.
»Willkommen im Blinden Jongleur, Talon.« Zu Caleb sagte sie zwinkernd: »Ella ist in der Küche.«
Caleb sagte nichts, sondern lächelte nur. »Wir brauchen ein
Zimmer für zwei oder drei Tage.«
»Das habt ihr«, erwiderte die Frau. »Und jetzt sucht euch
einen schönen Tisch am Feuer. Die Lastenträger und Fuhrleute kommen herein, sobald es dunkel wird, und dann wird es
hier voll.«
Caleb zeigte auf einen kleinen Tisch in der Ecke nahe der
Feuerstelle, und Talon setzte sich. »Wir waschen uns nacheinander«, sagte Caleb. »Angelica hat Recht. In ein paar Minuten wird hier kaum genug Platz sein, um sich umzudrehen.«
Angelica kam einen Augenblick später mit zwei großen
Krügen Bier zurück. Sie reichte Caleb einen davon und sagte:
»Das erste Zimmer, ganz oben. Es ist das beste.«
»Danke«, erwiderte Caleb.
Talon trank einen Schluck und stellte fest, dass das Bier
sehr stark war.
»Sei vorsichtig damit, Talon. Dieses Bier kann tückisch
sein, wenn du es nicht gewöhnt bist.« Er beugte sich vor und
fuhr fort: »Du musst lernen, kleine Schlucke zu machen und
so auszusehen, als würdest du mehr trinken, als du tatsächlich
tust.«
»Und wie mache ich das?«
Caleb zeigte es ihm. Er griff nach dem Krug und schien einen großen Schluck zu trinken, aber als er Talon dann in den
Krug hineinschauen ließ, erkannte der Junge, dass kaum ein
Tropfen Bier verschwunden war. »Wenn die Gesellschaft ein
wenig rauer ist, kannst du auch ein bisschen was vergießen
oder übers Kinn laufen lassen. Wenn du in besserer Gesellschaft bist, winkst du hin und wieder dem Diener, dir einen
frischen Kelch zu bringen. Niemand außer dem Diener wird
merken, dass er einen halb vollen Kelch wegbringt, und der
wird es niemandem verraten – wahrscheinlich wird er ihn
austrinken, bevor er in die Küche kommt.«
»Warum?«
»Warum der Diener dein Bier trinkt?«
Talon schüttelte grinsend den Kopf. »Nein, das kann ich
mir schon vorstellen. Nein, warum sollte ich den Eindruck
erwecken
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