Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 1
gewesen, denn Magnus war zu einer seiner mysteriösen Reisen aufgebrochen. Der Magier hatte Talon eine Reihe von Aufgaben
übertragen: Er sollte bestimmte Bücher lesen – was Talon genoss, nachdem er nun seit über einem Jahr lesen konnte – und
eine seltsame, einem Tanz nicht unähnliche Reihe von Bewegungen üben, die der Magier ihm beigebracht hatte. Magnus
behauptete, der Tanz sei eine Form des waffenlosen Kampfes,
Isalani genannt, wenn Talon das richtig verstanden hatte, und
dass jahrelanges Studium dieser Bewegungen ihn auch in anderen Kampfformen besser machen würde. Darüber hinaus musste er die Hütte sauber halten und sich etwas zu essen kochen.
Damit war der größte Teil des Tages bereits ausgefüllt,
aber die freie Zeit, die ihm blieb, nutzte Talon dafür, die Insel
zu erkunden, auch wenn Magnus ihn ausdrücklich angewiesen
hatte, am nördlichen Strand zu bleiben. Im Süden erhob sich
eine Hügelkette, die vielleicht einen halben Tagesmarsch entfernt war, und Magnus hatte ihm befohlen, sich von diesen
Hügeln und dem Teil des Strandes, der sich weiter nach Süden zog, fern zu halten. Der Magier hatte nicht erklärt, wieso
Talon nicht nach Süden gehen sollte oder was geschehen
würde, wenn er diese Anweisung ignorierte, aber Talon hatte
nicht vor, Magnus herauszufordern.
Ein großer Teil von Talons Leben bestand nun aus Warten.
Er wartete darauf, endlich herauszufinden, wofür man ihn
ausbildete, denn inzwischen war er sicher, dass Robert und
die anderen mit seiner Ausbildung einen ganz bestimmten
Zweck verfolgten.
Die Ausbildung als solche machte rasch Fortschritte: Er
beherrschte die Sprache des Königreichs nun beinahe fließend, sprach Roldemisch makellos und fing an, Dialekte aus
dem Kaiserreich Groß-Kesh zu lernen, und außerdem beschäftigte er sich mit Geografie, Geschichte und Musik.
Die Musik genoss er am meisten. Magnus beherrschte einen Bannspruch, mit dem er Konzerte von Musikern heraufbeschwören konnte, die er im Lauf der Jahre gehört hatte. Die
schlichtere Musik kam Talon relativ vertraut vor, aber Komplizierteres, gespielt von begabten Musikern zur Unterhaltung
von Adligen, war ebenso bezaubernd. Um ihm beim Verstehen der Musik zu. helfen, hatte Magnus Talon gesagt, er müsse lernen, Instrumente zu spielen, und sie hatten mit einer
einfachen Flöte begonnen, die nun auf dem Tisch lag – ein
langes Holzrohr mit sechs Löchern darin. Die Flöte war ganz
ähnlich wie die, die Talons Vater gespielt hatte, und Talon
hatte schnell ein paar unkomplizierte Melodien darauf gelernt.
Er rieb sich mit der Hand übers Gesicht. Seine Augen brannten, und der Rücken tat ihm weh. Er stand auf und warf einen
Blick aus dem Fenster. Die Sonne ging langsam unter. Talon
fiel auf, dass er schon den ganzen Nachmittag gelesen hatte.
Er warf einen Blick zum Herd, wo ein großer Kessel stand,
halb voll mit dem Eintopf, den er vor zwei Tagen gekocht
hatte. Er war immer noch essbar, aber Talon hatte genug von
dem immer gleichen Essen. Er nahm an, dass er noch etwa
eine Stunde Tageslicht hatte, um zu jagen oder zum Strand zu
gehen und zu angeln.
Die Abenddämmerung war für beides eine gute Zeit. Es
gab einen kleinen Teich in der Nähe der Hütte, an den Wild
bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang zum Trinken kam,
und die Fische in der Brandung schienen bei Sonnenuntergang aktiver zu werden.
Er rang einen Moment mit der Frage, was er denn nun tun
sollte, dann kam er zu dem Schluss, dass er lieber angeln
würde. Wild zu verfolgen verlangte zu viel Konzentration,
und im Augenblick war ihm eher danach, am Strand zu stehen, den Wind im Gesicht und den Blick auf etwas gerichtet,
das viel weiter entfernt war als das Ende seiner Arme.
Talon griff nach der Angel und dem Fischkorb und eilte
nach draußen.
Als er wieder hinauf zur Hütte ging, war die Sonne bereits untergegangen. In wenigen Minuten hatte er vier große Stinte
fangen können, die für sein Abendessen mehr als genügen
würden. Er würde sie auf einem Metallgrill über dem Holzfeuer
braten und ein paar von den Gewürzen benutzen, die Magnus
in einer kleinen Truhe aufbewahrte. Er hätte auch gern ein wenig Reis dazu gehabt, und erst jetzt wurde ihm klar, welchen
Luxus er durch Leo in der Küche von Kendricks Gasthaus kennen gelernt hatte. Talons Mutter hatte oft Fisch gekocht und ihn
zusammen mit Wurzeln und Beeren auf den Tisch gebracht, die
die Frauen gesammelt hatten. Manchmal hatte es auch Maiskuchen gegeben, mit der Hand gerollt und am
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