Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 1
sein Leben lang erhalten bliebe.
Das Schiff fuhr rasch nach Westen, getrieben von einem starken Wind, der beinahe schon ein Sturm war und wie ein lebendiges Geschöpf auf die Wellen eindrosch. Talon stand so
weit vorn, wie er konnte, direkt hinter dem Bugspriet, denn
selbst nach einer Woche auf See war er immer noch fasziniert.
Irgendwann an diesem Nachmittag oder am Abend würden sie
ihr Ziel erreichen: Krondor, die Hauptstadt des westlichen
Teils des Königreichs.
Aus Gründen, die Talon nicht klar waren, hatten die Magier beschlossen, er solle ein Schiff nach Krondor und eine
Karawane nach Salador nehmen, und von dort aus würden sie
ihn weiterschicken. Er hatte erwartet, dass Magnus ihn mit
Hilfe der Magie zu seinem nächsten Ziel bringen würde, aber
stattdessen reiste er auf konventionelle Weise und in Gesellschaft von Caleb.
Caleb übte einen beruhigenden Einfluss aus. und Talon
war froh, dass das Konklave ihm diesen Mann an die Seite
gestellt hatte. Er antwortete, wenn Talon über etwas sprechen
wollte, aber Stille störte ihn nicht. Sie hatten beide das Empfinden eines Jägers, und von all den Leuten, die er seit der
Zerstörung seines Dorfes kennen gelernt hatte, fühlte sich
Talon Caleb am verwandtesten.
Das Meer war Talon so fremd, wie Strände es gewesen waren, aber er fühlte sich ebenso dazu hingezogen wie zu den
Bergen seiner Heimat. Es veränderte sich ununterbrochen,
endlos und geheimnisvoll. Die Luft war frisch, wenn auch von
anderer Art als an Land, und selbst in diesem ununterbrochen
schlechten Wetter irgendwie wunderbar.
Das Schiff hieß Dame aus dem Westen und fuhr unter der
Flagge von Kesh. Talon hatte jedoch aus Gesprächen der Besatzung, die er belauscht hatte, erfahren, dass es dabei nur um
den Registrierhafen ging, denn das Schiff gehörte Pug. Und
Pug war für Talon immer noch ein Rätsel. Er schien noch
jung zu sein, oder gerade erst in mittleren Jahren, aber er war
kräftig, lebhaft und energisch. Miranda schien etwa im gleichen Alter zu sein, aber sie und Pug waren Magnus’ Eltern,
obwohl sie kein Jahr älter aussahen als der weißhaarige Magier.
Pug war ein stiller Mensch, der nur selten mit den Schülern
sprach, aber wenn er es tat, war er liebenswert und zuvorkommend. Es gab allerdings etwas an ihm, das Talon beunruhigte. Er hatte Macht, das war sogar einem Jungen aus den
östlichen Bergen sofort klar. Robert, Nakor, Magnus und Miranda verfügten alle über magische Fähigkeiten, das wusste
Talon, aber an Pug spürte er etwas Größeres. Es war etwas,
das sein Großvater »von den Göttern berührt« genannt hätte.
Talon dachte darüber nach, was für eine Kindheit ein Mann
wie Pug wohl gehabt haben mochte. Wer waren seine Eltern,
und was für eine Erziehung hatte ein Magier von solch großer
Macht genossen? Vielleicht würde er ihn eines Tages fragen,
aber im Augenblick gab er sich damit zufrieden, die Frage auf
sich beruhen zu lassen und die Reise zu genießen.
Sein Liebeskummer war vergangen, und inzwischen konnte er auf die Tage mit Alysandra zurückblicken und verspürte
nur noch bittersüße Ironie. An diesem letzten Tag mit ihr hatte
er an Heirat gedacht oder daran, sein Leben mit ihr zu
verbringen, und nun hielt er sie für nichts weiter als eine bemitleidenswerte oder verachtenswerte Frau. Oder für beides.
Ein Geschöpf ohne Herz. Dennoch, Talon wusste, dass er in
gewisser Hinsicht lernen musste, so zu sein wie sie, denn alles, was man ihm seit diesem Tag erzählt hatte, ließ ihn glauben, dass sie viel gefährlicher war, als er sich vorstellen konnte.
Caleb kam an Deck, in einem ölgetränkten Segeltuchumhang ganz ähnlich dem, den Talon selbst trug. Eisige Gischt
sprühte auf beide, aber Caleb kümmerte sich nicht darum. Er
stellte sich neben Talon und schwieg, zufrieden damit, die
Aussicht zu genießen.
Rollende Dünung und Gischt verschwanden im schwindenden Tageslicht, als dunklere Wolken mit schwarzen Rändern über ihnen vorbeirasten. In der Ferne konnten sie Blitze
erkennen. Schließlich sagte Caleb: »Wir sollen Krondor noch
vor dem Unwetter erreichen, aber es wird knapp.«
Talon nickte. »Ich denke, ich könnte gut Seemann sein«,
sagte er nach einer Weile.
»Das Meer ruft viele zu sich«, stellte Caleb fest.
Sie schwiegen den Rest des Nachmittags, bis eine halbe
Stunde vor Einbruch der Dunkelheit der Mann im Ausguck
»Land in Sicht!« rief.
Der Kapitän kam auf die beiden zu. »Meine Herren, wir
werden Krondor
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