Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 1
nach Einbruch der Dunkelheit erreichen. Wir
werden uns an der Windschattenseite des Wellenbrechers halten und dort Schutz vor dem Sturm suchen, und im ersten
Morgengrauen werde ich dem Hafenmeister ein Zeichen geben, und dann fahren wir in den eigentlichen Hafen ein. Es
wird wohl eine laute, aber sichere Nacht werden.«
Talon nickte. Er wartete gespannt darauf, die Stadt zu sehen. Er hatte in der Biografie von Rupert Avery und in anderen Büchern einiges über Krondor gelesen.
Caleb legte die Hand auf Talons Schulter und bedeutete
ihm, dass sie nach unten gehen sollten. Talon drehte sich um
und ging voran.
Als sie ihre Kabine erreicht hatten, die kaum groß genug
war für zwei Kojen übereinander, legten sie die nassen Umhänge ab und setzten sich hin, Talon in die obere Koje, Caleb
in die untere.
»Wir haben vor dem Abendessen noch ein wenig Zeit«,
sagte Caleb. »Ich weiß, dass du deine Geschichte schon eingeübt hast.«
»Ja«, erwiderte Talon. Er sollte allen, die sich dafür interessierten, erzählen, dass er ein Jäger aus den Wäldern nahe
Crydee war, was seinen leichten Akzent erklären würde. Da
zwischen Krondor und der Stadt an der Fernen Küste nicht
viel Verbindung bestand, war es unwahrscheinlich, dass sie
jemandem begegnen würden, der mit dieser Stadt vertraut
war. Und falls das doch der Fall sein sollte, würde Caleb die
Führung übernehmen, denn er kannte diese Gegend.
»Caleb?«
»Ja, Talon?«
»Warum reisen wir auf diese Weise?« Das hatte er fragen
wollen, seit sie die Insel verlassen hatten.
»Um deinen Horizont zu erweitern«, erwiderte Caleb.
»Mit dem Reisen ist es wie mit allem anderen; etwas darüber erzählt zu bekommen oder es zu lesen ist eine Sache,
aber es zu tun ist etwas anderes. Du wirst tausend Dinge
sehen, und vieles wird sich von dem unterscheiden, was ich
sehe.«
»Wohin sind wir unterwegs?«
»In Krondor suchen wir uns eine Karawane und ziehen
weiter nach Malacs Kreuz an der Grenze zwischen dem West-
und dem Ostteil des Königreichs. Von dort aus geht es zu
Pferd weiter nach Salador. Beide Städte werden dir viele Gelegenheiten bieten, etwas zu lernen.«
»Das klingt gut, aber was werden wir tun, sobald wir Salador erreicht haben?«
»Lernen«, antwortete Caleb und legte sich im die Koje.
»Und nun sei still, damit ich ein Schläfchen halten kann, bis
sie zum Abendessen rufen.«
»Lernen«, murmelte Talon. »Das ist offenbar mein Leben.«
»Und kein schlechtes. Und jetzt sei still.«
Das Boot wurde dicht an den Kai herangerudert, wo ein Hafenarbeiter es vertäute. Talon sprang an Land, gefolgt von
Caleb. Ein Mann, der eine Armbinde mit dem Wappen eines
Adlers über einem Berggipfel trug, kam näher, schaute sie
von oben bis unten an und fragte dann gelangweilt: »Wo
kommt Ihr her?«
»Crydee«, sagte Caleb.
»Ihr wart auf einem Schiff aus Kesh.«
»Es war das Nächstbeste, das in See stach, als wir aufgebrochen sind«, erwiderte Caleb freundlich.
»Nun, wenn Ihr Bürger des Königreichs seid, ist das in Ordnung.« Der Mann ging weiter und ließ Caleb und Talon stehen.
»Das war alles?«, fragte Talon.
»Die Zeiten sind friedlich, heißt es.« Caleb bedeutete Talon, ihm zu folgen. »Zumindest hier im Westen. König Ryan
hat seine Tochter mit dem Neffen der Kaiserin von Kesh verlobt, und der Kaiser von Queg hat eine Cousine, die König
Ryans jüngeren Sohn heiraten soll. Der Handel mit den Freien
Städten ist lebhaft, und der Gouverneur von Durbin hält seine
Freibeuter an der kurzen Leine. Es hat seit sieben Jahren keinen größeren Konflikt mehr gegeben.«
Als sie die Steintreppe vom Hafen zur Straße hinaufstiegen, fügte Caleb hinzu: »Im Osten stehen die Dinge allerdings
auf Messers Schneide, und deshalb würdest du dort erheblich
intensiver beobachtet werden als hier.«
Sie gingen eine Straße entlang, die sie schließlich zur Stadtmitte bringen würde. Wenn Talon den Hals reckte, konnte er
südlich des Hafens eine Burg erkennen. »Dort wohnt der Prinz?«
»Prinz Matthew, Sohn von König Ryan. König Patrick ist
noch keine zwei Jahre tot, und Matthew ist immer noch ein
junger Mann, keine vierzehn Jahre alt«, sagte Caleb. »Aber er
ist nicht die wirkliche Macht in der Stadt.«
»Wer dann?«
»Zwei Brüder, die Jamisons. James ist Herzog von Krondor, wie sein Großvater vor ihm, und es heißt, er sei beinahe
genauso wild wie sein legendärer Vorfahr. Sein jüngerer Bruder Dashel ist ein reicher Geschäftsmann. Es heißt, wenn
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