Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 1
als
Märchen abzutun.
Sie gingen zu Barretts Kaffeehaus, wo man sich mit Finanzangelegenheiten beschäftigte, die Talon beinahe so kompliziert und geheimnisvoll vorkamen wie Magie. Talon hatte
dank Rupert Averys Biografie eine vage Vorstellung davon,
was dieser Ort für die Wirtschaft des Königreichs bedeutete,
denn Avery war ein Geschäftsmann gewesen und bei Barretts ein und aus gegangen. Die beiden Reisenden sahen sich
auch den Palast an, wenn auch nur aus respektvollem Abstand, denn Caleb hatte zwar angedeutet, dass es in der Vergangenheit Verbindungen zwischen seiner Familie und der
Krone gegeben hätte, aber das würde ihnen keinen Einlass
verschaffen. Und von Talons Neugier einmal abgesehen hatten sie auch keinen Grund, das anzustreben. Er war recht
interessiert an diesen Dingen, wie an allem, was ihm noch
fremd war. Wenn er nun an seine Kindheit dachte, wurde
ihm klar, wie wenig er als Junge doch über die Welt gewusst
hatte, und dennoch erinnerte er sich klar daran, wie viel er
geglaubt hatte zu verstehen. Dies war das Erbe seines Volkes
gewesen, das sich damit zufrieden gegeben hatte, auf die
gleiche Weise zu leben, wie es schon die Vorfahren getan
hatten. Generationen waren vergangen, ohne dass sich bei
den Orosini viel geändert hatte, und es war ein gutes Leben
gewesen. Talon sah sich jetzt in der Stadt um, betrachtete die
Menschenmengen, die sich auf den Straßen drängten, und
fragte sich, ob sein Volk nicht zumindest eines wirklich begriffen hatte: was ein gutes Leben bedeutete. Der größte Teil
der Leute, die er auf seinem Weg durch die Stadt sah, schien
wenig Freude zu empfinden. Die meisten konzentrierten sich
auf ihre Geschäfte oder waren eilig irgendwohin unterwegs.
Ein paar Kinder spielten auf der Straße, aber nur sehr kleine;
die älteren hatten sich offenbar zu Banden von zehn oder
mehr zusammengetan, und einige dieser Gruppen hatte Talon schon rennen gesehen, verfolgt von einem zornigen
Wachtmeister.
Sie zogen mit der Karawane durch den Westteil des Reiches, durch hügeliges Gelände und in niedrige Berge, die denen seiner Heimat nicht unähnlich waren. Aber wo die Berge
der Orosini von Menschen in kleinen Dörfern mit Holzhütten
und Palisaden bewohnt gewesen waren, gab es hier Städtchen
und Burgen. In Ravensburgh tranken die beiden Reisenden
den besten Wein, den Talon bisher probiert hatte, und er stellte dem Wirt viele Fragen. Dann verbrachte er etwa eine Stunde bei einem Winzer und versuchte dort ebenfalls, so viel wie
möglich zu lernen.
Demetrius hatte schon vorhergesagt, dass ihre Lehrer Talon irgendwann auch alles über Wein beibringen würden, und
der Aufenthalt in Ravensburgh schien eine gute Gelegenheit
zu sein, etwas dazuzulernen.
Die Reise führte sie weiter durch die Stadt Malacs Kreuz,
und dort verabschiedeten sie sich vom Karawanenmeister.
Nach einer Nacht in einem relativ sauberen Gasthauszimmer
kaufte Caleb zwei schöne Pferde, und sie machten sich auf
den Weg nach Osten.
Als sie auf die aufgehende Sonne zuritten, fragte Talon:
»Caleb, werde ich je erfahren, was wir hier machen?«
Caleb lachte. »Ich nehme an, es ist egal, ob ich es dir jetzt
sage oder wenn wir Salador erreichen.«
»Dann sag es mir jetzt, denn ich platze vor Neugier.«
Caleb erklärte: »In Salador werden wir weiter an deinen
guten Manieren arbeiten. Du wirst ein Jahr oder länger lernen,
mindestens zwei Musikinstrumente zu spielen – die Laute und
vielleicht noch ein anderes, Horn oder eine weitere Flöte. Du
wirst auch noch mehr über Kochkunst erfahren, obwohl du in
dieser Hinsicht dank Leo schon relativ gut ausgebildet bist.
Und du wirst mehr über höfisches Verhalten lernen, darüber,
welche Kleidung welchem Anlass angemessen ist und wie
man mit Personen jedweden Ranges umgeht. Du wirst lernen,
Wein zu beurteilen, und man wird dir auch Gesangsunterricht
erteilen, obwohl ich annehme, dass das Letztere eine ziemlich
vergebliche Anstrengung sein wird.«
Talon lachte. »Ich kann singen.«
»Ich würde das kaum als Singen bezeichnen!«
»Aber wozu soll das alles gut sein – mich wie einen Adligen aussehen zu lassen?«
Caleb wechselte von der Sprache des Königreichs, die sie
seit ihrer Ankunft in Krondor gesprochen hatten, ins Roldemische. »Weil du in einem Jahr nach Roldem reisen wirst, mein
junger Freund, und dort schreiben wir dich am Hof der Meister ein. Und wenn wir Glück haben, werden wir dich dort als
einen jungen Mann von niederem Adel ausgeben
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