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Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 2

Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 2

Titel: Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Konig der Fuchse
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näherte,
flog der Vogel davon.
    Tal sprang auf, packte die Gitterstange und zog
sich hoch. Er spähte durch das Fenster und sah, dass
der letzte Rest Eis und Schnee verschwunden war.
Der Wind war kühl, aber nicht schneidend. Tal ließ
sich wieder herunter.
    Es war wieder einmal Frühling.
Tal war nun seit mehr als einem Jahr in der Festung der Verzweiflung. Inzwischen hatte er akzeptiert, dass er sich für eine unbekannte Zeitdauer hier
aufhalten würde. Um nicht den Verstand zu verlieren, hatte er einen Plan entwickelt, der auf drei
Grundsätzen beruhte: dass Verzweiflung der
schlimmste Gegner war, dass er bei seiner Lebensaufgabe, sein Volk zu rächen, versagen würde, wenn
er starb, und dass er geistig rege bleiben musste, damit ihm auch nicht die kleinste Möglichkeit zur
Flucht entging.
Um sich zu beschäftigen, führte er die Gedankenübungen durch, die er auf der Insel des Zauberers
gelernt hatte, und erinnerte sich systematisch an Bücher, die er gelesen hatte, an Schachpartien, an Gespräche mit anderen Schülern und an Vorträge seiner
Lehrer. Er konnte sich an Ereignisse erinnern, als
geschähen sie gerade jetzt, also versank er zum Teil
für Stunden in Erinnerungen und erlebte Dinge erneut, die er bereits erlebt hatte.
Aber er ging nicht in die Falle, sich vollkommen
in diesen Erinnerungen zu verlieren, vermied es bewusst, an die liebevollen Arme von Frauen, die Aufregung der Jagd, seine Siege beim Kartenspiel zu
denken. Diese Erinnerungen waren wie eine Schlinge, ein Versuch, das Leid zu meiden, das er in der
Festung ertragen musste, und keine Hilfe bei der
Vorbereitung darauf, seiner Gefangenschaft ein Ende
zu machen.
Und um weiterhin der Verlockung sinnloser Erinnerungen zu entgehen, zwang er sich, eine Stunde am
Tag einfach nur zu beobachten, entweder die Steine
seiner Wände und des Bodens oder die Aussicht
durch das Fenster.
Er ignorierte den Schmutz, so gut er konnte. Er
hatte Will überredet, ihm hin und wieder ein wenig
mehr Wasser zu bringen, und Tal benutzte dieses
Wasser, um sich sauber zu halten. Es war nur ein geringfügiger Komfort, aber besser als nichts, und er tat
alles, was er konnte, um die erschreckende Trostlosigkeit seiner Situation zu mildern. Nakor hatte ihm
einmal gesagt, dass die Freude im Leben häufig aus
kleinen Dingen entstand, aus den winzigen Triumphen, und so unmöglich es schien, sich an einem
feuchten Tuch oder kaltem Wasser zu erfreuen – er
tat es.
Er versuchte, so gut wie möglich in Form zu bleiben. Das schlechte Essen und die ununterbrochene
Kälte machten das nicht leicht. Er wusste, er hatte
viel Gewicht verloren, aber nun, da es wärmer wurde, hatte er das Gefühl, wieder zu Kräften zu kommen. Er trainierte in seiner Zelle, lief und ging auf
der Stelle, zog sich mit einer Hand am Zellengitter
hoch. Er fand Wege, die Übungen durchzuführen, die
er von Nakor auf der Insel des Zauberers gelernt hatte, und sie seiner Umgebung anzupassen. Er war alles andere als stark, aber so gut in Form, wie man es
unter diesen Bedingungen erreichen konnte.
Er führte seine Übungen durch und hielt seinen
Verstand wach. Er versuchte, geduldig zu sein, und
er wartete. Irgendwann, das wusste er – in einem
Monat, in einem Jahr oder vielleicht in zehn Jahren –
, würde etwas geschehen, und er würde bereit sein.
Am Ende des zweiten Winters in der Festung hatte
Tal gelernt, seinen Armstumpf so gut zu nutzen, wie
es nur möglich war. Er konnte mehr tun, als ihn nur
bei seinen Übungen zum Halten des Gleichgewichts
zu benutzen; er hatte Möglichkeiten gefunden, damit
zu schieben, zu ziehen und etwas damit zu tragen.
Eines Nachmittags saß er auf dem Strohsack, als
die Zellentür aufging und Will hereinkam.
Will kam mit leeren Händen, und Tal sagte: »Es
ist noch nicht Zeit zum Abendessen, und du hast
auch nichts dabei. Ist das ein Freundschaftsbesuch?«
»Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass es mit
dem Abendessen noch dauern wird.«
»Warum?«
»Charles, der Koch, ist tot.«
»Was ist passiert?«, fragte Tal, den alles interessierte, was die Monotonie seiner Tage unterbrach. Er
kratzte sich am Bart, der nun bis unters Brustbein
reichte.
»Weiß ich nicht genau«, sagte Will und setzte sich
auf den Boden. »Ich habe heute früh wie immer den
Haferbrei verteilt, und als ich zurück in die Küche
kam, lag der alte Charles am Boden. Ich hab ihn auf
den Rücken gedreht, und er hatte die Augen weit
aufgerissen, als hätte ihn etwas

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