Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 4
Stadt
bringen würde. Kaspar begab sich zur kaiserlichen
Kämmerei und bat darum, dass man ihm so bald wie
möglich ein Pferd zur Verfügung stellte. Er fragte sich,
ob er wohl irgendwo noch einen Becher Kaffee bekommen könnte und vielleicht ein Brötchen oder ein Stück
Schinken, bevor er ausritt, um es mit dem Chaos aufzunehmen.
Das Lagerhaus war von Wachen umstellt, die für das
Konklave arbeiteten. Drinnen sah Tal ungerührt zu, wie
Amafi den Attentäter verhörte. Es hatte großes Glück
und viel Geschicklichkeit gebraucht, den Bewusstlosen
zu der geheimen Zuflucht zu bringen, und sie hatten dieses verlassene Lagerhaus erst kurz vor der Dämmerung
erreicht.
Aber nun waren sie in Sicherheit, zumindest für eine
Weile, und der Gefangene konnte so viel Lärm machen,
wie er wollte, ohne dass Unbefugte es hören würden.
Und trotz seiner Weigerung zu sprechen hatte er in den
letzten beiden Stunden sehr viel Lärm gemacht.
Amafi wandte sich von dem Mann ab, der mit Lederschnüren an einen schweren Holzstuhl gebunden war,
den man seinerseits an einem Stützbalken mitten im
Raum befestigt hatte. Das war nötig gewesen, nachdem
der Nachtgreifer versucht hatte, sich auf dem Boden aus
gestampfter Erde den Schädel zu brechen. Zum Glück für
Tal hatte das nur dazu geführt, dass der Gefangene eine
weitere Stunde bewusstlos war.
Amafi sagte leise: »Wir haben einen Punkt erreicht, an
dem wir uns beide ausruhen müssen, Euer Wohlgeboren.« Mit einer Kopfbewegung deutete er an, dass Tal
mit ihm zur anderen Seite des Lagerhauses kommen sollte.
Als sie eine gewisse Entfernung von dem Gefangenen
erreicht hatten, sagte Amafi: »Folter ist eine hohe Kunst,
Euer Wohlgeboren. Jeder kann einen Mann so lange
schlagen, bis dieser nichts mehr spürt. Jeder kann genug
Schmerzen zufügen, bis der Gefangene beinahe den
Verstand verliert.«
»Wie weit sind wir mit ihm?«
»Dieser Mann wurde ausgebildet, Euer Wohlgeboren,
und er ist ein Fanatiker. Er würde lieber unter Schmerzen
sterben, als seinen Clan zu verraten. Also besteht der
Trick darin, ihn zu überzeugen, dass die Schmerzen endlos sein werden. Dann wird er reden. Aber wenn er redet,
muss er auch glauben, dass die Wahrheit seine einzige
Flucht vor Schmerzen, vor Verrat und vor dem ist, was
ihn zum Schweigen veranlasst. Denn wenn er zu widerstandsfähig ist, wird er lügen. Und wenn der Schaden zu
groß ist, wird er nur sagen, was er glaubt, dass wir hören
wollen.«
Tal nickte. Es hatte ihm nicht gefallen zuzusehen, wie
Amafi dem Mann Schmerzen zufügte, aber er hatte seit
seiner Kindheit so viel Tod und Leid gesehen, dass es
ihm nicht allzu viel ausmachte. Er durfte nicht vergessen,
dass die, gegen die er kämpfte, hinter dem steckten, was
seinem Volk zugestoßen war – dass sie für die Vernichtung beinahe aller Orosini verantwortlich waren. Und er
hatte eine Familie in Opardum, die ebenso wie jeder andere auf Midkemia leiden würde, sollte das Konklave
versagen.
»Was müssen wir tun?«
»Als Erstes muss ich mit den Männern draußen sprechen, damit sie die Fenster vernageln, damit es hier drinnen immer dunkel ist. Wir müssen sein Zeitgefühl durcheinander bringen, damit er denkt, dass er schon länger
hier ist. Dann sollte ich ins Gasthaus zurückkehren und
Kleidung zum Wechseln für uns beide holen, damit wir
ihn auch auf diese Weise verwirren können, was die Zeit
angeht. Und schließlich müssen wir ihm ein wenig Essen
und Wein bringen – Branntwein wäre das Beste –, damit
wir ihn beruhigen können, wenn es notwendig wird.«
»Tu, was du tun musst.«
Amafi verließ eilig das Lagerhaus, und Tal kehrte zu
der Stelle zurück, wo der Gefangene halb bewusstlos in
den Fesseln hing, schmutzig von Blut und seinen eigenen
Ausscheidungen. Er und Tal wechselten einen langen
Blick, und keiner sagte ein Wort.
Caleb stöhnte, als er sich aufsetzte. Die Jungen hatten
versucht, den ganzen Tag ruhig zu sein, aber ohne eine
Möglichkeit, sich die Zeit in dem kleinen Zimmer zu vertreiben, schleppten sich die Minuten mühsam dahin.
Tad und Zane hatten bereits den Punkt erreicht, an
dem sie sich vor Unruhe gegenseitig an die Kehle gehen
wollten, aber Jommy hatte das Handgemenge zum Erliegen gebracht, ehe es richtig beginnen konnte.
Das Mädchen war mit einer weiteren Mahlzeit zurückgekehrt und hatte gesagt: »Sie werden jetzt bald entscheiden, wohin wir euch bringen«, aber sie wollte nicht
bleiben und auch keine weiteren Fragen
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