Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 4
heiser: »Nakor?«
Der kleine Mann grinste. »Du erinnerst dich an
mich?«
Mit einem tiefen Einatmen, dem ein langes Seufzen
folgte, setzte sich Erik von Finstermoor, einstmals Unteroffizier bei Calis’ Blutroten Adlern, Veteran des
Schlangenkriegs, Held vieler Schlachten und nun Herzog
von Krondor und Marschall des Westreiches, auf und
sagte:
»Es wäre verdammt schwer, dich zu vergessen, alter
Freund.«
»Du siehst schon besser aus«, stellte Nakor fest.
Erik bewegte die Arme und sagte: »Ich fühle mich
auch besser. Was hast du getan?«
Nakor zeigte ihm die Phiole. »Ich habe dir ein wenig
Zeit erkauft. Ich muss mit dir sprechen.«
»Dann beeil dich«, erwiderte der Herzog und lehnte
sich zurück. Er lachte leise. »Es heißt, mir bleibt nicht
mehr viel Zeit – Augenblick mal, wie bist du hier hereingekommen?«
Nakor tat die Frage mit einer Geste ab. »Ich habe nur
gewartet, bis niemand hinsah, und bin dann durch das
Fenster hereingeklettert.«
Erik lächelte. »Wie es der alte Herzog James als Junge
getan hat?«
»So ähnlich.«
»Und warum belästigst du einen sterbenden Mann?«
»Du musst noch eine Weile am Leben bleiben, Erik.«
»Ich hätte nichts dagegen, aber ich glaube, das Schicksal hat andere Pläne.«
»Wie fühlst du dich?«
Der Herzog streckte die Hände nach vorn und sagte:
»Überraschend gut, wenn man die Umstände bedenkt.
Ich frage dich noch einmal, was hast du getan?«
»Es ist ein Heiltrank, den ich von einem Priester erhalten habe, der weit entfernt von hier lebt. Er wird dich …
wiederherstellen.«
»Mich wiederherstellen?«
»Er wird dich eine Weile am Leben erhalten oder,
wenn du mehr davon trinkst, sogar erheblich länger.«
Der Herzog rutschte im Bett ein wenig höher, so dass
er aufrecht sitzen konnte. »Ich bin nicht sicher, ob mir
das gefällt, Nakor. Ich fühle mich von meinem Körper
verraten, und um ganz offen zu sein, es ärgert mich, so
abhängig von anderen zu sein. Es ist schlimm, wenn man
nicht mal mehr selbst zum Pinkeln gehen kann. Nichts
erniedrigt einen Mann mehr, als morgens nass wie ein
Baby aufzuwachen. Ich glaube, ich möchte lieber sterben, als noch mehr Tage im Bett verbringen.«
»Nun, du brauchst weder das eine noch das andere zu
tun.« Nakor grinste. »Dieser Heiltrank wird dich auch
kräftiger machen.«
Erik starrte Nakor an. »Ich stelle gerade fest, dass ich
wieder besser sehen kann.«
»Ja«, sagte Nakor. »Es ist ein ziemlich guter Trank.«
»Bist du deshalb die letzten fünfzig, sechzig Jahre unverändert geblieben?«
»Nein. Ich kenne noch ein paar andere Tricks.«
»Also gut, wenn du es schaffst, mich aus diesem Bett
zu kriegen, damit ich das Königreich noch ein wenig länger schützen kann, dann bleibe ich – aber um was genau
geht es?«
»Nun, erstens mag ich dich.«
»Danke, Nakor. Ich mag dich auch.«
»Du bist der letzte der zum Tode Verurteilten, die mit
Calis und Bobby nach Süden zogen.«
»Ja, ich erinnere mich, ich war dabei. Und ich weiß
Nostalgie sicher zu schätzen, Nakor, aber um was geht es
wirklich?«
»Wir brauchen jemanden, der der Krone nahe steht
und der zuhören und helfen kann, wenn der Zeitpunkt
kommt.«
»Wir?«, fragte der Herzog. »Sprichst du vom Schwarzen Zauberer?«
»Ja. Pug.«
Erik lehnte sich mit einem tiefen Ausatmen zurück
und schüttelte den Kopf. Nach dem Schlangenkrieg war
Kesh gegen Krondor gezogen und hätte es in dem Versuch, einen Vorteil in seinem scheinbar endlosen Kampf
gegen den nördlichen Nachbarstaat zu gewinnen, beinahe
vernichtet. Pug, damals Herzog von Stardock und Vasall
der Krone des Königreichs der Inseln, hatte sich geweigert, seine mächtige Magie zu nutzen, um die Eindringlinge zu vernichten, und stattdessen den Keshianern einfach befohlen, nach Hause zu gehen, und gleichzeitig
Patrick, der damals Prinz von Krondor und nun König
der Inseln war, gedemütigt.
Erik sagte: »Pug ist Persona non grata, seit er Prinz
Patrick nach dem Schlangenkrieg getrotzt hat. Robbie
mag zwar nur dem Namen nach mit Patrick verwandt
sein – er ist so bedachtsam, wie Patrick unbesonnen ist –,
aber das kollektive königliche Gedächtnis reicht sehr
weit zurück. Pug hat Stardock aus dem Königreich genommen und einen unabhängigen Staat daraus gemacht;
aus dem Blickwinkel des Throns sieht das nach Verrat
aus.«
»Deshalb brauchen wir dich, um sie zu überzeugen.
Etwas sehr Schlimmes ist auf dem Weg, Erik.«
»Wie schlimm?«
»Sehr schlimm«, sagte Nakor.
»So schlimm wie die
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