Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 4
können nicht erlauben, dass die Herrscher
von Midkemia vollkommen begreifen, welcher Gefahr
wir gegenüberstehen, zumindest nicht gleich, denn sonst
wird ihre Angst nur ihrer Entschlossenheit im Weg sein.«
Miranda sah ihren Mann eine Weile an, dann sagte sie:
»Wir werden alles tun, was wir können.«
»Ich weiß«, erwiderte er. »Und nun haben wir beide
zu tun.«
»Wie wirst du zur Villa zurückkehren?«
Er lächelte. »Ich gehe zu Fuß. Die frische Luft verhilft
mir manchmal zu einem klaren Kopf und lässt mich besser denken.«
Sie küsste ihn auf die Wange. »Wir sehen uns zu Hause.«
Bevor sie verschwinden konnte, sagte er: »Warte einen Moment. Hast du gesehen, dass Nakor eine Kugel
benutzte, um zu verschwinden?«
»Wäre mir nicht aufgefallen.«
Er lächelte. »Noch einer seiner ›Tricks‹, nehme ich
an.«
Sie erwiderte sein Lächeln, und dann war sie weg.
Niemand konnte sich besser transportieren als Miranda.
Sie hatte versucht, Pug und ein paar anderen beizubringen, wie man sich ohne die Hilfe von Mustern oder der
Kugeln der Tsurani transportierte, aber nur wenige konnten es nur mit Hilfe ihres Geistes.
Pug schloss also, dass Nakor mit Miranda gearbeitet
hatte. Der tückische kleine Mann hatte Recht, er und seine Frau mussten mehr miteinander sprechen.
Er machte sich auf den Weg, blieb aber am Ausgang
noch einmal stehen. Es war später Nachmittag auf der
Insel des Zauberers, und er würde die Villa erst kurz vor
dem Abendessen erreichen. Er warf noch einen letzten
Blick zurück in die Höhle und begann dann mit dem
Heimweg.
Der königliche Wundarzt schüttelte den Kopf und sagte
leise zu dem Dienst habenden Junker: »Ich fürchte, er
wird die Nacht nicht überleben.« Die beiden Gestalten
wirkten winzig in diesem riesigen Raum, in dem der
Herzog von Krondor im Sterben lag. Eine einzelne Kerze
brannte auf dem Tisch neben dem Bett.
»Soll ich den obersten Junker informieren?«, fragte
der junge Mann, ein schlaksiger blonder Bursche, der
gerade einmal fünfzehn Jahre alt war. Der oberste Junker
diente Prinz Robert, dem Herrscher von Krondor und
Thronfolger des Königreichs der Inseln.
»Es ist schon spät. Ich werde bald wieder nach dem
Herzog sehen. Wenn sich sein Zustand verschlechtert,
wird noch genug Zeit sein, den Prinzen zu wecken.«
»Soll ich bleiben?«
»Das ist nicht notwendig«, sagte der alte Heiler, auf
dessen Zügen sich Sorge und Erschöpfung abzeichneten.
»Er wird nicht aufstehen, und ich habe noch andere Patienten, um die ich mich kümmern muss. Im königlichen
Kinderzimmer ist Durchfall ausgebrochen, und es wird
wahrscheinlich nicht tödlich sein, aber der Zorn der Prinzessin ist mir sicher, wenn ich es nicht fertig bringe, dass
die Kinder die Nacht über schlafen.«
Der Heiler löschte die Kerze neben dem Bett, und er
und der Junge verließen das große Schlafzimmer des
Herzogs und schlossen leise die Tür hinter sich.
Einen Augenblick später trat eine Gestalt aus dem
Schatten eines der schweren Vorhänge. Sie durchquerte
das Zimmer und berührte den noch warmen Kerzendocht
mit einem Finger, und sofort erschien die Flamme erneut.
Nakor blickte auf den liegenden Herzog hinab und
sagte leise: »O Erik, du siehst wirklich nicht gut aus.«
Nakor hatte Herzog Erik schon gekannt, als er noch
ein Junge gewesen war, frisch aus der Schmiedewerkstatt, groß, mit breiten Schultern und der Kraft von drei
Männern. Er war auch ein sehr aufbrausender Junge gewesen, was beinahe dazu geführt hatte, dass man ihn wegen Mordes hingerichtet hätte, aber am Ende hatte er
dem Königreich der Inseln gut gedient, war zum Marschall des Westens aufgestiegen und nun unter dem jungen Prinzen Robert Herzog von Krondor.
Nakor sah einen alten Mann vor sich, der die achtzig
bereits hinter sich gelassen hatte. Seine Haut war wie
altes, fest über seinen Schädel gezogenes Pergament.
Seine Schultern hatten nichts mehr von der Kraft seiner
Jugend und wirkten unter dem weiten Nachthemd, das er
trug, eher knochig.
Nakor holte eine Phiole aus dem Rucksack und nahm
den Korken heraus. Er träufelte einen einzigen Tropfen
auf die Lippen des Sterbenden und wartete. Erik bewegte
leicht den Mund, und Nakor goss ihm einen weiteren
Tropfen hinein. Er wiederholte dies über beinahe fünfzehn Minuten, einen Tropfen nach dem anderen, dann
setzte er sich auf die Bettkante und wartete.
Nach ein paar Minuten flatterten die Lider des Herzogs, dann öffnete er die Augen. Er blinzelte und flüsterte
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