Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 4
eine
Nacht bleiben. Tad saß neben Caleb auf dem Kutschbock, während Zane hinten neben der Fracht saß und die
Füße über die Rückseite baumeln ließ.
Sie erreichten den Rand von Stardockstedt am späten
Nachmittag. Die ersten Gebäude kamen links von ihnen
am Seeufer in Sicht. Sie waren nun seit etwa einem Tag
an Bauernhöfen vorbeigefahren und gingen davon aus,
dass sie das Lagerhaus noch vor Sonnenuntergang errei
chen würden.
Als sie ins Dorf einfuhren, winkten Tad und Zane,
wenn sie vertraute Gesichter sahen, aber die meisten
Leute starrten einen Moment fragend zurück, bevor sie
die Jungen erkannten. Tad sagte: »Die Leute sehen uns
komisch an, Caleb.«
»Ihr habt euch verändert, Tad«, erwiderte der hoch
gewachsene Jäger, der nun wie ein Fuhrmann gekleidet
war. Die Jungen trugen die gleichen alten Hemden und
Hosen, in denen sie Stardockstedt vor einem halben Jahr
verlassen hatten. Beide beschwerten sich häufig, dass die
Sachen zu eng waren, also hatte Caleb versprochen, ihnen in Kesh neue Kleidung zu kaufen.
Die Jungen waren schon vom Wagen gesprungen, ehe
er vollständig zum Stehen gekommen war, aber als sie
losrennen wollten, rief Caleb sie zurück. »Was glaubt ihr,
wo ihr da hinrennt?«
»Zu Mutter«, antwortete Tad.
»Nicht, bevor ihr den Wagen abgeladen habt.« Caleb
wies mit dem Daumen auf die Fracht.
»Grooms und seine Jungen werden das erledigen«,
sagte Zane.
»Nicht diese Ladung«, widersprach Caleb. »Ich will,
dass ihr den Wagen dort hinüberbringt« – er zeigte zu
einer leeren Frachtpalette am Rand des Stallhofs – »und
alles darauf abladet.«
Beide Jungen wussten, dass die Ladung für die Insel
bestimmt war. Sie erinnerten sich auch daran, wie sie den
Wagen beladen hatten, und Tad fragte: »Können wir wenigstens ein bisschen Hilfe bekommen?«
Caleb nickte. »Sagt Grooms, ich werde ihn später bezahlen.«
»Wo gehst du hin?«, fragte Tad, als Caleb dazu an
setzte, den Hof zu verlassen.
Er drehte sich um und ging rückwärts. »Eure Mutter
besuchen. Ich werde ihr sagen, dass ihr bald nachkommt.«
Tad sprang wieder auf den Kutschbock und lenkte das
Gespann zu dem Bereich, den Caleb ausgesucht hatte,
während Zane sich auf die Suche nach Grooms machte –
dem Aufseher des Lagerhauses –, um um Hilfe beim Abladen zu bitten.
Caleb eilte zu Maries Haus und fand sie bei der Gartenarbeit. Als sie Caleb sah, sprang sie auf und umarmte
ihn. »Du hast mir gefehlt«, sagte sie zwischen zwei leidenschaftlichen Küssen. »Es war so einsam hier, seit du
die Jungen mitgenommen hast.« Sie drückte ihn noch
einmal fest an sich, dann sagte sie in leicht anklagendem
Ton: »Du wolltest die Jungen schreiben lassen.«
»Das wollte ich«, antwortete er und nahm ein gefaltetes Pergament aus seinem Hemd. Mit einem Grinsen sagte er: »Aber ich dachte, ich bringe es lieber selbst, als
dass ich einen Kurier schicke.«
Sie küsste ihn und sagte: »Komm nach drinnen, trink
einen Tee, und erzähl mir, was du mit ihnen gemacht
hast.«
Er folgte ihr ins Haus und sah, dass dicht neben dem
Feuer ein kleiner Wasserkessel stand. »Ich koche jetzt
selten, seit ich allein bin. Ich backe nur einen Laib Brot
in der Woche statt drei oder vier.« Sie goss ihm Tee ein
und fragte: »Wie geht es den Jungen?«
»Gut«, antwortete er. »In den sechs Monaten, seit wir
hier aufgebrochen sind, hat sich vieles verändert.«
Sie setzte sich an den winzigen Tisch. »Erzähl.«
»Es ist nicht alles so verlaufen, wie ich es mir vorgestellt hatte«, sagte er. »Die Lehrstellen, auf die ich Hoffnung gesetzt hatte …«
»Sag mir, dass du ihnen wenigstens ehrliche Arbeit
besorgt hast, Caleb! Faulpelze und Unruhestifter konnten
sie hier ebenso gut werden wie anderswo.«
Er lächelte. »So ist es nicht.« Er seufzte. »Im Augenblick arbeiten sie als Helfer eines Fuhrmanns.«
»Fuhrleute?«, fragte sie mit großen Augen. »Das ist
seltsam, da sie nie viel für Pferde und Maultiere übrig
hatten.«
»Das haben sie immer noch nicht, aber es war notwendig«, sagte Caleb. Er grinste breit. »Sie sind drüben
im Lagerhaus und laden zusammen mit Grooms’ Jungen
einen Wagen ab. Sie sollten bald hier sein.«
»Du schrecklicher Mann!«, rief Marie und versetzte
ihm einen Schlag auf den Arm. »Warum hast du mir das
nicht gleich gesagt?«
»Weil ich ein paar Minuten mit dir allein sein wollte,
und sobald die Jungen hier sind, wirst du mir bestenfalls
noch ein paar Sekunden deiner Zeit gönnen.«
Sie küsste ihn. »Sie sind alt genug, um zu
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