Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 4
verstehen,
dass ihre Mutter mehr braucht als Kochen und Nähen
…«
Sie verstummte, als Tad durch die Tür kam, dicht gefolgt von Zane. Als sie gegangen waren, waren sie Jungen gewesen, aber nach weniger als einem halben Jahr
hätte Marie ihre Söhne kaum wiedererkannt. Beide waren
von der Sonne gebräunt, ihre Schultern waren breiter
geworden, und ihre Gesichter hatten alle Kindlichkeit
verloren. Ihre Wangen waren hohl, und statt Babyfett gab
es dort jetzt Stoppeln. Unter den kurzen Ärmeln ihrer
Hemden waren ihre Arme muskulös, und ihre Hände waren hart von Schwielen.
Marie stand auf, und beide Jungen eilten auf sie zu,
um sie zu umarmen. »Ich dachte schon, ich würde euch
nie wiedersehen«, sagte sie, und ihre Augen füllten sich
mit Tränen. Sie umarmte sie fest, dann trat sie zurück.
»Ihr habt euch … verändert. Beide.«
»Harte Arbeit, Ma«, sagte Tad. »Ich habe in meinem
ganzen Leben noch nie so schwer gearbeitet.«
»Was habt ihr gemacht?«, fragte sie.
Die Jungen wechselten einen raschen Blick mit Caleb,
dann sagte Tad: Ȇberwiegend mit Steinen gearbeitet.
Viele Mauern gebaut. Und ein bisschen gejagt und geangelt.«
»Und wir haben auch gelernt, wie man einen Wagen
fährt, und haben viele be- und entladen«, fügte Zane hinzu. »Und ich habe schwimmen gelernt.«
Marie öffnete und schloss den Mund wieder, bevor sie
sagte: »Du hast endlich deine Angst vor Wasser überwunden?«
Zane errötete. »Ich hatte keine Angst. Ich mochte es
nur nicht besonders.«
Tad lachte leise. »Er hatte gute Lehrer.«
Zane errötete noch mehr.
Erstaunt sah Marie Caleb an, der sagte: »Lasst uns ins
Gasthaus gehen und etwas essen.«
»Das wäre wohl das Beste«, erwiderte sie. »Ich habe
hier nicht genug für uns alle.« Dann wandte sie sich an
die Jungen: »Ihr beiden wascht euch und geht schon mal
vor. Wir kommen gleich nach.«
Nachdem sie gegangen waren, küsste sie Caleb leidenschaftlich. Dann flüsterte sie: »Danke!«
»Wofür?«, fragte er leise.
»Dass du auf sie aufgepasst hast. Und dass du sie zu
Männern gemacht hast.«
»Sie haben noch einen weiten Weg vor sich«, wandte
er ein.
»Aber es ist ein Anfang«, sagte sie. »Als Tads Vater
starb …« Sie begann zu weinen.
»Was ist denn?«
»Ich bin einfach nur dumm«, sagte sie und schluckte
die Tränen hinunter. »Es ist so schön, euch alle zu sehen,
und so viel hat sich in so kurzer Zeit verändert.« Sie winkte ab und holte tief Luft. Dann verließ sie die Hütte, und er
holte sie draußen ein und ging neben ihr zum Gasthaus.
Er sah sie im schwindenden Nachmittagslicht an. »Wir
werden heute Nacht ein wenig Zeit allein haben, Marie,
nur wir beide.«
Sie lächelte. »Ganz sicher.«
»Wie bist zu zurechtgekommen?«, fragte er, denn er
sah, dass sie abgenommen hatte, seit er sie zum letzten
Mal gesehen hatte.
»Wie immer: Ich verkaufe, was ich anbaue, und kaufe,
was ich brauche. Ich nehme hier und da Näharbeiten an,
wenn jemand Hilfe braucht, und ich habe vor, demnächst
ein paar Hühner zu kaufen, damit ich Eier habe und vielleicht ein paar verkaufen kann.« Sie nahm seinen Arm.
»Ich komme zurecht.«
Er schwieg, aber es brach ihm beinahe das Herz, als er
erkannte, wie wenig er an ihre Bedürfnisse gedacht hatte,
bevor er ihre Jungen mitgenommen hatte. Als sie weitergingen, legte er den Arm um ihre schlanke Taille. Nach
einem Augenblick des Schweigens sagte er: »Vielleicht
gibt es eine bessere Möglichkeit, als einfach nur zurechtzukommen.«
»Wie meinst du das?«
»Später«, erwiderte er, als sie das Gasthaus erreichten.
Das Essen war beinahe ein Fest. Obwohl Tad und Zane
nur sechs Monate weg gewesen waren, blieben viele
Leute aus dem Dorf bei den Jungen stehen – nachdem sie
genauer hingesehen hatten –, um sie zu Hause willkommen zu heißen und eine Bemerkung darüber zu machen,
wie sehr sie sich verändert hatten. Auch mehrere Mädchen kamen vorbei, um anzudeuten, dass sie nach Sonnenuntergang auf dem Marktplatz wären, falls die Jungen
vielleicht vorbeikommen wollten.
Beim Abendessen informierte Marie Tad und Zane
schonend darüber, dass Ellie in ein paar Monaten ein Baby bekommen würde. Aber die beiden wechselten nur
einen Blick und fingen dann an zu lachen.
»Was ist daran so komisch?«, fragte ihre Mutter.
Die Jungen schwiegen. Ihre Gefühle für das Mädchen
schienen nun sehr weit weg zu sein, verglichen mit ihren
Erlebnissen mit den Schwestern. Inzwischen hatten alle
sechs Mädchen nacheinander erklärt, wie sehr sie die
beiden mochten,
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