Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 5
»Warum sagt Ihr das?«
»Ihr habt jeden fähigen Mann im Umkreis von
dreihundert Meilen rekrutiert, General. Ich bin auf
meinem Weg hierher durch zwei Städte, ein halbes
Dutzend kleinerer Siedlungen und zwanzig Dörfer
geritten. Dort gibt es nur noch Männer über vierzig
und Jungen unter fünfzehn. Jeder Mann, der auch nur
im Geringsten kämpfen kann, befindet sich bereits in
Eurem Dienst. Ich sehe, dass Ihr Euch im Süden eingrabt; Ihr erwartet einen Gegenangriff von dort, aber
wenn Okanala wirklich ein paar Leute übrig hat, die
der Rede wert sind, wird er an Eurer linken Flanke
angreifen und Euch zurück zum Bach treiben. Ihr
wärt am besten dran, wenn Ihr zur Siedlung zurückweichen und Euch dort eingraben würdet. General,
das hier ist Eure Grenze, mindestens für die nächsten
fünf Jahre, aber wahrscheinlicher für zehn. Zeit, diesem Krieg ein Ende zu machen.«
Der General nickte. »Aber unser Maharadscha hat
eine Vision, und er will weiter nach Süden vordringen, bis wir nahe genug an der Stadt am Schlangenfluss sind, dass wir das gesamte Land im Osten als
befriedet bezeichnen können.«
»Ich denke, Euer ehrgeiziger junger Herr stellt
sich sogar vor, irgendwann die Stadt selbst einnehmen und sie Muboya hinzufügen zu können«, erwiderte Kaspar.
»Das mag sein«, gab Alenburga zu. »Aber Ihr habt
recht, was alles andere angeht. Meine Späher sagen
mir, dass sich Okanala ebenfalls eingräbt. Wir haben
beide unsere Kräfte ausgespielt.«
»Ich weiß nichts über die Politik dieses Kontinents«, sagte Kaspar, »aber es gibt Zeiten, in denen
ein Waffenstillstand das Gesicht rettet, und Zeiten, in
denen er notwendig ist und die einzige Alternative zu
vollkommenem Ruin darstellt. Der Sieg ist unerreichbar, und bei jeder weiteren Bewegung steht
Euch eine Niederlage bevor. Lasst Euren Maharadscha eine seiner Verwandten mit einem Verwandten
des Königs verheiraten und macht der Sache ein Ende.«
Der General stand auf und streckte die Hand aus.
»Wenn Ihr Eure Freunde gefunden und nach Hause
gebracht habt, Kaspar von Olasko, seid Ihr in meinem Zelt jederzeit willkommen. Wenn Ihr zurückkehrt, werde ich einen General aus Euch machen,
und wenn die Zeit gekommen ist, werden wir gemeinsam zum Meer vorstoßen.«
»Ihr wollt mich zum General machen?«, sagte
Kaspar grinsend.
»Nun ja, ich kommandierte nur eine Brigade, als
Ihr mich zum letzten Mal gesehen habt«, sagte der
General und erwiderte Kaspars Grinsen. »Jetzt befehlige ich die gesamte Armee. Mein Vetter weiß Erfolge zu schätzen.«
»Ah«, sagte Kaspar und schüttelte die Hand des
Mannes. »Wenn mich der Ehrgeiz packt, weiß ich,
wo ich Euch finden kann.«
»Viel Glück, Kaspar von Olasko.«
»Viel Glück, General.«
Kaspar verließ den Pavillon und stieg auf sein
Pferd. Er lenkte den Wallach im Schritt den Hügelabhang hinunter zu einem Tal, durch das ein breiter
Bach floss.
Er verspürte wachsende Unruhe, als er sich den
Gepäckwagen näherte, denn er konnte überall Anzeichen eines Kampfes sehen. Die Kriegstraditionen
verboten es, die Gepäckjungen und die Frauen anzugreifen, die der Armee folgten, aber es gab Zeiten,
da solche Dinge einfach ignoriert wurden.
Mehrere der Jungen, die er sah, waren verwundet,
einige geringfügig, andere schwer, und viele trugen
Verbände. Ein paar lagen auf Strohballen unter den
Wagen und schliefen; ihre Verletzungen machten es
unmöglich, dass sie arbeiteten. Kaspar ritt zu der
Stelle, wo ein untersetzter Mann in einem blutigen
Waffenrock auf einem Wagen saß und weinte. Ein
vor kurzem abgelegter metallener Brustharnisch lag
auf dem Sitz neben ihm, ebenso wie ein Helm mit
einem Federbusch, und er starrte in die Ferne. »Seid
Ihr der Gepäckmeister?«, fragte Kaspar.
Der Mann nickte nur, und Tränen liefen weiter
über seine Wangen.
»Ich suche nach einem Jungen mit Namen Jörgen.«
Der Mann biss die Zähne zusammen und stieg
langsam von dem Wagen. Als er vor Kaspar stand,
sagte er: »Kommt mit.«
Er führte Kaspar über eine kleine Anhöhe, wo eine
Gruppe von Soldaten einen Graben aushob, während
Jungen Holz und Eimer mit einer Flüssigkeit herantrugen, die Kaspar für Öl hielt. Es würde keine einzelnen Scheiterhaufen für die Toten geben – dies
würde eine Massenverbrennung werden.
Die Toten hatte man auf der anderen Seite des
Grabens niedergelegt, wo man sie schnell auf das
Holz legen konnte, bevor das Öl über sie gegossen
und die Fackeln hineingeworfen wurden. Nach
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