Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 5
kurzer Zeit blieb der Mann stehen. Kaspar blickte hinunter und sah drei Leichen dicht beieinander.
»Er war ein so guter Junge«, sagte der Meister des
Gepäcks, die Stimme heiser vom Brüllen von Befehlen, vom Schlachtenstaub, von der Hitze des Tages
und von mühsam beherrschten Gefühlen. Jörgen lag
neben Jojanna, und neben ihr lag ein Mann in Soldatenuniform. Es konnte nur Bandamin sein, denn er
sah dem Jungen ähnlich.
»Er kam vor beinahe einem Jahr, um nach seinem
Vater zu suchen, und … und seine Mutter kam kurz
darauf. Er arbeitete schwer und ohne sich zu beschweren, und seine Mutter kümmerte sich um alle
Jungen, als wären es ihre eigenen. Wenn sein Vater
konnte, kam er zu ihnen, und es war eine Freude, sie
zu kennen. Inmitten von all dem« – er bewegte die
Hand in einer umfassenden Geste – »fanden sie ein
bisschen Glück darin, einfach nur zusammen zu sein.
Als …« Er hielt inne, und neue Tränen traten ihm in
die Augen. »Ich bat darum, dass der … der Vater
zum Gepäck abgestellt wurde. Ich dachte, ich tue ihnen allen einen Gefallen. Nie hätte ich angenommen,
dass der Kampf bis zu den Gepäckwagen vordringen
würde. Es verstößt gegen alle Regeln des Krieges!
Sie haben die Jungen und die Frauen getötet! Es verstößt gegen alle Regeln!«
Kaspar nahm sich einen Moment, um auf die drei
hinabzusehen, wiedervereint vom Schicksal und zusammen gestorben, weit weg von zu Hause. Bandamin hatte einen schrecklichen Schlag in die Brust
bekommen, vielleicht von einer Keule, aber sein Gesicht war unverletzt. Er trug einen Waffenrock im
Blau und Gelb von Muboya. Der Rock war ausgebleicht und schmutzig und ein wenig zerrissen.
Kaspar sah am Gesicht des Vaters, was für ein Mann
Jörgen geworden wäre. Bandamin sah aus wie ein
ehrlicher Mann, wie ein Mann, der schwer arbeitete.
Kaspar glaubte auch, dass er gern viel gelacht hatte.
Er hatte die Augen geschlossen, als schliefe er. Jojanna schien keine Wunde zu haben, also nahm Kaspar an, dass sie von einem Pfeil oder einer Speerspitze in den Rücken getroffen worden war, vielleicht,
als sie zu den Jungen rannte, um sie zu beschützen.
Jorgens Haar war blutverklebt, und sein Kopf lag in
einem seltsamen Winkel. Kaspar fühlte sich ein winziges bisschen erleichtert zu wissen, dass er schnell
gestorben war und vielleicht sogar schmerzlos. Er
verspürte ein seltsames, unerwartetes Ziehen: Jörgen
war immer noch so jung!
Er starrte die drei an, die ganz so aussahen wie eine Familie, die nebeneinander schläft. Er wusste,
dass die Welt sich weiterdrehte und niemand außer
ihm und vielleicht ein paar Leuten fern im Norden
das Sterben von Bandamin und seiner Familie bemerken würde. Jörgen, der letzte Sprössling dieses
unbekannten Stammbaums, war tot, und mit ihm hatte diese Familie ihr Ende gefunden.
Der Gepäckmeister sah Kaspar an, als erwartete er
tröstende Worte von ihm. Kaspar blickte einen weiteren Augenblick auf die drei Leichen hinab, dann
bohrte er die Fersen in die Seiten seines Pferds, riss
den Wallach herum und begann mit seinem langen
Ritt nach Norden.
Als er das Schlachtfeld verließ, spürte er, wie etwas in ihm kalt und hart wurde. Es war so leicht,
Okanala zu hassen, weil er gegen die Regeln »zivilisierter« Kriegsführung verstoßen hatte. Es war leicht,
Muboya zu hassen, weil er einen Mann von seiner
Familie weggeholt hatte. Es war leicht, alle und jeden zu hassen. Aber Kaspar wusste, dass er im Lauf
der Jahre selbst bestimmte Befehle gegeben hatte,
und wegen dieser Befehle waren hunderte von Bandamins von ihren Höfen geholt worden, und hunderte
Jojannas und Jorgens hatten Entbehrungen oder sogar den Tod erleiden müssen.
Mit einem Seufzen, das sich anfühlte, als käme es
tief aus seiner Seele, fragte sich Kaspar, ob es tatsächlich auch einen glücklichen Grund für die Existenz gab, etwas, was über Leiden und am Ende den
Tod hinausging. Denn wenn es so etwas gab, wusste
er in diesem Augenblick seines Lebens wirklich
nicht, was es sein sollte.
Vier
Nachtgreifer
Die Soldaten bewegten sich schnell.
Erik von Finstermoor, Herzog von Krondor, Marschall der Armee des Königs im Westen und Wächter der westlichen Grenzgebiete, stand hinter einem
großen Felsvorsprung und sah zu, wie seine Männer
in Position gingen. Diese Männer gehörten einer Eliteeinheit der Hausgarde des Prinzen an und bildeten
nun lautlose Silhouetten vor Felsen, die tief im
Schatten der untergehenden Sonne lagen. Erik
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