Feist, Raymond - Die Erben von Midkemia
ununterbrochene Spannung seiner gefährlichen Beschäftigung und dieses unglaubliche Gefühl, etwas erreicht zu haben, das ihm seine Missionen gaben. Am Ende von einer mochte er die heißen Bäder und sauberen Laken, die Gesellschaft williger Frauen, den Wein und das Essen genießen, aber nach ein paar Tagen wünschte er sich nichts mehr, als wieder durch die dunklen Gassen zu schleichen, lautlos über Dächer zu klettern oder durch die Abflusskanäle zu stapfen, eine Hand am Messergriff und auf einen Angreifer wartend, der wahrscheinlich hinter der nächsten Ecke lauerte.
Aber es gab auch Augenblicke wie den, den er jetzt erlebte, als er frierend und allein im Dunkeln am Hang einer Bergkette saß. In solchen Momenten hielt er sich wirklich für verrückt. »Niemand, der noch klar im Kopf ist, würde sich ein solches Leben wünschen«, murmelte er.
Aber er wusste, dass er es wollte, sogar brauchte. Er hatte die Jimmyhand-Geschichte erfunden, um gegebenenfalls seine Beziehung zu Jimmy der Hand von Krondor als scheinbar falsche Behauptung ausgeben und damit allem Argwohn vorbeugen zu können, dass er tatsächlich der Ur-Urenkel dieses würdigen Mannes sein könnte. Zu viele Leute waren noch am Leben, die den Enkel von Lord James von Rillanon mit seinem eigenen Großvater, dem legendären ehemaligen Dieb, der zum Adligen geworden war, Lord James von Krondor, in Verbindung bringen konnten.
Nein, gestand er sich ein, er liebte dieses Leben, selbst die Dinge, bei denen er sich die Hände blutig machte, denn er wusste, dass er zu etwas gehörte, das größer war als er
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selbst, und er war sicher, dass jeder Mann, dessen Leben er genommen hatte, das auch verdient hatte. Dieses Gefühl, einer Sache zu dienen, die wichtiger war als seine eigenen kleinlichen Bedürfnisse, gab Jim ein gewisses Gleichgewicht in seinem Leben.
Dann hatten sich die Dinge verändert, und er hatte Gefühle erlebt, die ihm neu waren. Er war einer Frau begegnet.
Als er nun auf einem Gipfel in einem fernen Land saß und auf den Sonnenaufgang wartete, so dass er sicher zu Schiffen gelangen konnte, die in von Haien wimmelndem Wasser vor Anker lagen, um einer Bande von Magiern Informationen über Geschöpfe aus der dunkelsten Grube der Hölle und einen Stamm von Elfen zu bringen, von dem nie jemand gehört hatte, konnte er nur daran denken, ob er Michele je wiedersehen würde.
Die Sonne erhellte nun den Himmel im Osten, und die dunkle Masse unter ihm löste sich zu klaren Formen auf. Er schob Gedanken an seine neue Liebe von sich, ebenso wie seine ununterbrochene Sorge, dass jemanden zu haben, den er liebte, vielleicht die dümmste Idee war, die er je gehabt hatte, und spähte angestrengt ins Halbdunkel. Zuerst verwirrten ihn die immer noch undurchdringlichen Schatten, aber nach einer Weile begann er, einen Weg nach unten auszumachen. Was er zuerst für ein kleines Rinnsal gehalten hatte, das von Schmelzwasser und Regen hinterlassen worden war, sah jetzt vielversprechender aus, und er setzte dazu an, darauf zuzugehen. Nachdem er den Anfang der kleinen Rinne erreicht hatte, beschloss er, sich langsam hinunterzuwagen, und sprach ein lautloses Stoßgebet zu Banath, dem Gott der Diebe, der auch als Gott der Missgeschicke verehrt wurde, denn wenn je ein Unternehmen diese Bezeichnung verdient hatte, dann dieses hier.
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Es war später Nachmittag, als er die Klippen oberhalb des vereinbarten Strands erreichte. Er betrachtete den Abgrund und fragte sich, wie ein Stadtjunge wie er dazu kam, einen Abstieg in Erwägung zu ziehen, der selbst eine Bergziege erschreckt hätte. Es gab keinen einfachen Weg nach unten, dachte er trocken, aber zweifellos einen schnellen.
Er ging am Klippenrand entlang und fand nichts Nützliches, dann drehte er sich noch einmal um und folgte mit dem Blick erneut dem Weg den Berg hinunter, der ihn hierhergeführt hatte. Er würde Stunden brauchen, wenn er zu der Stelle zurückkletterte, wo er glaubte, möglicherweise einen anderen Weg nach unten finden zu können, und selbst wenn er dort war, gab es keine Garantie, dass sich dort ein besserer Abstieg bieten würde. Er würde vielleicht noch eine Nacht am Berg ertragen müssen, und inzwischen war er durstig und ausgehungert. Er erinnerte sich mit bitterer Heiterkeit an einen Betrüger, dem er einmal in einer Schänke in Krondor begegnet war, als er auf eine Schiffspassage nach Elariel in Kesh wartete. Dieser Mann hatte versucht, Jim einen
»magischen Umhang« zu verkaufen, der,
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