Feist, Raymond - Krondor-Saga 3
ganzes Leben in dieser Gilde verbracht. Warum sollte ich all das aufs Spiel setzen, indem ich den Meister töte?«
James wickelte die Hauptbücher und das Schriftstück aus. »Um zu verhindern, dass man Eure Unterschlagungen entdeckt.«
»Und außerdem ist da noch Kendarics neuer Spruch«, fügte Jazhara hinzu. »Wenn Kendaric erst aus dem Weg wäre, könntet Ihr ihn als Euren eigenen ausgeben.«
»Sofern Ihr den Spruch gefunden hättet«, fuhr James fort. »Es sieht so aus, als hättet Ihr die Nachtgreifer für beide Aufgaben benötigt.«
»Eine interessante Theorie«, sagte Jorath und wich langsam ein Stück zurück. »Aber sagt mir eins: Glaubt Ihr, ich wäre damit durchgekommen, wenn Ihr Euch nicht eingemischt hättet?«
Noch bevor James oder Jazhara darauf antworten konnten, zog der Gildenmann etwas aus dem Ärmel seiner Tunika und warf es in die Luft. Ein helles Licht blitzte auf, und James war für einen Augenblick geblendet. Reflexhaft wich er unverzüglich ein paar Schritte zurück, denn er wusste, dass er angegriffen werden würde, solange er nichts sehen konnte.
Er spürte die Klinge nur knapp an sich vorbeizischen, während er wild blinzelte und gleichzeitig seinen eigenen Degen zog. Er wich noch ein bisschen weiter zurück und stieß, ohne zu zögern, zu – damit wollte er Jorath auf Abstand halten, und mit viel Glück würde er so vielleicht auch einen Treffer landen.
Er hörte, wie der Geselle zurückwich, und wusste, dass er ihn beinahe getroffen hätte. James hatte schon häufig in der Dunkelheit gekämpft, und er schloss die Augen, denn er wusste, dass die Dunkelheit ihn weniger ablenken würde als die verschwommenen Bilder und Lichter, die vor seinen Augen tanzten.
Er spürte, dass sich Jazhara ein Stück von ihm entfernt hatte; ihr Instinkt hatte dafür gesorgt, dass sie sich aus der Gefahrenzone zurückzog. James führte jetzt einen wilden Hieb aus, und er spürte den Ruck in seinem Arm, als Jorath ihn parierte.
Ohne zu zögern, ließ James seine Klinge an der von Jorath entlang nach unten rutschen, bewegte sich dabei nach vorn anstatt zurück. James hoffte, dass der Gildenmann kein erfahrener Schwertkämpfer war, denn wenn das der Fall war, würde er ganz sicher verwundet werden.
Doch wie erhofft stieß der Gildenmann einen erstaunten Ruf aus, als James sein ganzes Gewicht nach vorn warf und mit der freien linken Hand Joraths rechtes Handgelenk packte. Er riss seinen Schwertarm hoch und hörte zufrieden, wie sein Degenknauf mit einem satten Geräusch auf das Kinn des Mannes prallte.
Jorath sackte schlaff zu Boden, während James erneut blinzelte, um die Tränen zu vertreiben. Allmählich klärte sich seine Sicht wieder, und er konnte erkennen, dass der Geselle bewusstlos auf dem Fußboden lag. Auch Jazhara blinzelte heftig und versuchte, ihr Sehvermögen wiederzuerlangen.
»Es ist in Ordnung«, sagte James. »Er ist bewusstlos.«
»Was wird jetzt mit ihm geschehen?«, wollte Jazhara wissen.
»Arutha wird ihn höchstwahrscheinlich hängen lassen, aber zunächst einmal wird er verhört werden.«
»Glaubt Ihr, dass er etwas mit der Suche nach der Träne zu tun hat?«
James schüttelte langsam den Kopf. Ein Lehrling der Gilde erschien im Türrahmen und warf einen Blick auf den am Boden hegenden Gesellen. Die Augen des Jungen weiteten sich erschrocken. »Hol die Stadtwache, Junge!«, rief James.
Der Junge eilte davon.
James warf Jazhara einen Blick zu. »Ich glaube, dass er für den Kriecher und die Nachtgreifer einfach nur eine nützliche Funktion erfüllt hat«, sagte er. Dann schüttelte er den Kopf, als ihm klar wurde, wie wenig er eigentlich wusste. »Für denjenigen jedenfalls, der hinter all diesem Wahnsinn steht – wer immer das auch sein mag.« Er seufzte. »Ich nehme an, die Nachtgreifer und derjenige, der sie angeheuert hat, wollten sicherstellen, dass niemand außer ihnen das Schiff heben kann. Meine Vermutung ist die, dass sich jemand in Ylith befindet und eine Mannschaft aus der dortigen Wrack-Gilde zusammenstellt, die dann zur Witwenspitze aufbrechen wird.« Er deutete auf die Tasche, in der Jazhara Kendarics Spruch verstaut hatte. »Hätten sie dieses Schriftstück gefunden, wäre die ganze Sache für die Nachtgreifer noch viel einfacher gewesen. Sie hätten Jorath alles Mögliche versprochen, um ihn dazu zu bringen, das Schiff zu heben. Und anschlie-
ßend hätten sie ihn getötet.« James warf einen Blick auf den Bewusstlosen und schüttelte missbilligend den
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