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Feldpostnummer unbekannt

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Titel: Feldpostnummer unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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zu stören. Einige der Ärzte hätten sich am liebsten gleich dazugelegt; aber sie waren noch nicht an der Reihe.
    Plötzlich klapperten Stiefel über den Gang, die sich nicht die geringste Mühe gaben, leise aufzutreten. Sie gehörten einem Offizier, der so gleichmütig durch das Behelfslazarett stapfte, als bummelte er über den Kurfürstendamm. Er war groß, hager; sein schmaler Vogelkopf ragte aus einem zerschlissenen Ledermantel. Er hielt einen Sanitätsunteroffizier an und fragte: »Wo ist der Chef?«
    »Gleich hier links, Herr Oberstleutnant«, entgegnete der Sani erschrocken. Er starrte den Offizier an wie eine Erscheinung. Oberstleutnant Tollsdorf war rasiert, immun gegen die Kälte, satt gegen den Hunger, und der Sani glaubte, sogar noch eine Spur Kölnisch zu riechen.
    Oberstabsarzt Dr. Münemann saß am Fenster, hatte den Kopf auf die Arme gelegt, als Tollsdorf eintrat. Er richtete sich auf und drehte sich um. Seine Augen waren wie blind. »Was wollen Sie?« fragte er den Oberstleutnant.
    »Zweierlei«, antwortete der Offizier gemächlich. »Tollsdorf«, sagte er mit einer artigen Verbeugung. »Ich führe hier eine Kampfgruppe …«
    »Und?«
    »In Ihrem Abschnitt!«
    »Und?«
    »Ich möchte, daß die Drückeberger dieses Hauses die Verwundeten dieses Hauses die Verwundeten dieses Lazaretts zum E-Hafen schaffen … und dann meinen Haufen verstärken …«
    »Drückeberger?« fragte der Überstabsarzt, »meinen Sie mich? Oder meine Leute? Oder …«
    »Quatsch!« erwiderte Tollsdorf. »Aber vielleicht gibt es hier Simulanten und …«
    »Ach, du lieber Gott!« Dr. Münemann lachte. Es klang rostig, irrsinnig. Er stand auf und ging auf den Oberstleutnant zu, diesen letzten Narren von Stalingrad. Er klopfte ihm auf die Schulter und sagte: »Bitteschön …«
    Dann ging er voraus, Tollsdorf folgte ihm. Er deutete auf den langen, gespenstischen Gang, über den von draußen die Kälte wehte: »Meinen Sie die …? Drückeberger, lauter Drückeberger …! Feige Hunde, machen sich einfach davon, lassen sich erst eins verpassen, liegen dann gemütlich hier auf der Bahre, lassen die anderen kämpfen … und erfrieren.«
    Dr. Münemann drehte sich ganz schnell um, betrachtete den hageren Oberstleutnant drohend und brüllte: »Und erfrieren!«
    »Wieso?« fragte Tollsdorf, »ich denke, Sie sind Arzt, und …«
    Der Oberstabsarzt lachte heiser, ging mit Tollsdorf wieder zurück. »Mein Patent«, versetzte er dann, »meine Methode: Fenster auf, Türen auf, Decken weg, und dann …« Sein Kopf hing müde zwischen den Schultern. »Natürlich nur, solange die Temperatur nicht steigt …«
    Der Oberstleutnant begriff, und zum erstenmal, seitdem er Soldat war, fehlte ihm eine Erwiderung, war er verblüfft. Zum erstenmal gab es etwas, was seinen gräßlich-sicheren Nerven überlegen war. »Die alle hier … werden …?« fragte er.
    »Ja«, versetzte der Arzt hart.
    Tollsdorf ging an ihnen entlang, fahrig, wie auf der Flucht, sah ihnen schnell in die Gesichter, wandte den Kopf ab, straffte sich dann, war wieder der Alte, der mit den Schultern zuckte und ein Lächeln um den linken Mundwinkel hatte und dann kalt lachte. »Meister«, sagte er, »Sie betrachten mich so vorwurfsvoll, als ob ich daran schuld wäre.«
    Dr. Münemann schwieg.
    »Ich will Ihnen etwas verraten«, fuhr Tollsdorf fort, »mir hängt das alles zum Hals heraus! Wenn ich eine Chance hätte, hier rauszukommen, ich schwöre, ich würde nie mehr in meinem Leben eine Uniform anziehen. Falls ich Kinder hätte, würde ich ihnen den Hintern versohlen, wenn sie mit Bleisoldaten spielten. Ich wäre der überzeugteste und härteste Pazifist dieser Welt! War's nicht immer … aber ich habe dazugelernt, ich schon …« Er langte in die Tasche und holte eine Zigarette hervor. Die umständliche Art, in der er sie anzündete, stand im Gegensatz zur Schroffheit seiner Worte. »Und nun bin ich hier in Stalingrad … Meister, ich bin nicht eingebildet, aber ich bin bestimmt nicht der schlechteste Offizier. Meine Leute arbeiten prima, mir zuliebe, verstehen Sie?«
    »Und warum lassen Sie sie nicht einfach laufen?« fragte Dr. Münemann.
    Der Oberstleutnant nahm noch einen kräftigen Zug aus seiner Zigarette und gab sie dem Arzt. »Sie haben es gut«, fuhr er dann fort, »Sie haben noch etwas zu tun.« Er deutete auf die Verwundeten. »Sie haben ihr Patent. Ihr System. Sie befördern die Leute weich und gekonnt ins Jenseits. Diese Verwundeten glauben noch an

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