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konnte er ungehindert an die Ju's herankommen und die Verzweifelten mit der Maschinenpistole wegjagen, eines der vollen Flugzeuge besteigen und dann, notfalls im Tumult, einen Schwerverwundeten hinauswerfen, um sich selbst Platz zu schaffen. Die Methode war nicht fein, aber lebensnotwendig, und mit seinem primitiven Verstand sagte sich der Unteroffizier, daß es etwas Höheres als das eigene Leben nicht gab.
Achim Kleebach stand zwischen den Flakgeschützen. Der Bulle nickte ihm noch einmal zu, dann sahen sie beide heißhungrig zu den Kisten hin, die mit fliegenden Händen aus den Luks der Ju's geworfen wurden, verfolgten, wie die ersten Schwerverwundeten in die Maschinen geladen wurden.
Und dann ging es los.
Mit einem Schlag. Ohne Verabredung. Aus Dutzenden wurden Hunderte, aus Verwundeten wurden Mörder. Im Rudel rannten sie ihre Bewacher über den Haufen und rasten auf die Startbahn zu, fielen, trampelten, wurden zertrampelt, kamen wieder auf die Beine, stürmten weiter, das Ziel vor Augen, 200 Meter noch im entfesselten Selbsterhaltungstrieb, der jede Vernunft, jeden Befehl, jeden Anstand, jeden Gedanken auslöschte. Die Gemeinsten werden die Ersten sein, die Brutalsten die Sieger.
Und so stürmten sie weiter, waren schon am Rand des Rollfelds, ganz dicht an der vordersten Maschine, sahen nur das Luk, wollten nur hinein, weg, heraus, nach Hause, gaben dem Vordermann, der ihnen im Weg stand, den Tritt, der ihn niederwarf, spürten selbst den Stiefel des Kameraden, der an ihrer Seite ging, fielen, hängten sich an fremde Beine, ließen sich mitzerren, fluchten, stöhnten, weinten: durchkommen, durchstehen, drei Minuten bloß noch, hinein in den Kasten, und dann …
»Feuer!« sagte Oberfähnrich Achim Kleebach halblaut.
Die beiden Richtkanoniere nickten, und dann rotzten die ersten Geschosse aus der nach links herumgerissenen Vierlingsflak heraus, genau in die Reihe der Anstürmenden hinein.
Die ersten fielen, die hinteren drängten ungestüm weiter, wurden zerfetzt, zerrissen, zusammenkartätscht, deckten mit ihren Köpfen, mit ihren Beinen, mit ihren Armen die anderen, die sich weiter vorschoben, immer näher an die Flugzeuge heran, ein Ballast, der jeden Start unmöglich machte. Das schließlich war das Endprodukt der vom Führer gepredigten Volksgemeinschaft: wenn schon, dann sollten alle verrecken … und das letzte Bataillon auf dem Schlachtfeld wird ein totes sein …
»Los jetzt!« sagte Unteroffizier Hanselmann und riß Achim mit.
Wie immer übersah der Bulle die Situation richtig, denn die Flak konnte nicht alle stoppen, und ein paar dutzend Landser kamen aus der Sterbezone heraus, durch das Sperrfeuer hindurch, und waren jetzt den Flugzeugen so nahe, daß die Flak sie laufen lassen mußte, um die Ju's nicht zu gefährden. Und das war der entscheidende Moment für Hanselmann und seine Leute.
Während sich Oberfähnrich Kleebach mit dem Brüllen aufhielt, feuerte der Bulle noch im Laufen aus der Hüfte, kurze, sorgfältig gezielte Feuerstöße. Dann war er am Luk, drehte sich um, und schoß aus nächster Nähe in die Panik hinein, gewann drei Sekunden Luft, zog sich hoch, stand im Luk, breitbeinig, MP im Anschlag, lachte lautlos und hielt den Einstieg wie nie eine Stellung zuvor.
Jetzt war auch Achim herangekommen. Der Bulle half ihm nach oben. Im gleichen Augenblick wummerten die Granaten der russischen Artillerie heran, krepierten auf dem improvisierten Flugplatz, pflügten ihn um, steigerten das Durcheinander zur Hölle, in der jeder zum Teufel wurde.
Für die Ju's war es höchste Zeit. Ihre Piloten zögerten keine Sekunde. Sie gaben Gas. Jetzt waren auch andere an das Luk herangekommen, schoben von außen Unteroffizier Hanselmann und Achim Kleebach hinein. Sie fielen über die Verwundeten am Boden, und sie wußten, daß sie sich nur noch zehn, fünfzehn Sekunden zu halten brauchten, dann hatten sie es bis zum Start geschafft. Sie wußten, daß das Luk nicht mehr geschlossen würde, und daß der Sog sie hinauswirbeln mußte.
Und so beugte sich der Bulle über einen Verwundeten, riß ihn brutal hoch, schaffte es aber nicht allein. Achim verfolgte ihn entsetzt, unfähig, mit Hand anzulegen, obwohl es nötig war, wenn er noch mitkommen sollte.
»Los!« schrie ihn der Unteroffizier an, »faß an!«
Im gleichen Moment, da Achim wie hypnotisiert dem bulligen Hanselmann folgen wollte, sah er das Gesicht des Verwundeten, erschrak, erkannte Thomas, seinen Bruder.
Die Lähmung dauerte nur eine
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