Feldpostnummer unbekannt
denn zum Öffnen der Beutebüchse war ihm noch keine Zeit geblieben.
»Forget it«, sagte Kleebach dabei.
Der Major blies den Rauch aus, hustete, warf die kaum angerauchte Kippe auf den Boden, trat sie erschrocken aus. »Mit so einem Dreck führt ihr Krieg?« fragte er.
»Staubwolke!« kam in diesem Moment die Meldung.
Kleebach ließ den Turm laufen und suchte das Ziel.
Staubwolke. Das war immer das erste und häufig auch das letzte.
Eine riesige Sandfontäne, hinter der der Feind lauern mochte oder der Freund, der Untergang oder der Entsatz und zwischen der Feststellung des einen oder des anderen lagen oft nur ein paar Sekunden Zeit.
Kleebachs Augen tränten. Der Handballen am roten Drücker der Panzerkanone wurde schweißfeucht. Sand und Staub, Hoffnung und Angst.
Und nochmals setzte der Feldwebel alles auf eine Karte. »Ich fahre entgegen«, brüllte er in sein Mikrophon, stieß den Fahrer in die Seite und dann rasten sie los – in den Selbstmord hinein oder der Rettung entgegen.
200 Meter, 100.
Plötzlich erkannte Kleebach, daß deutsche Panzer auf ihn zurollten, stellte sich auf den Turm und griff nach dem nächstbesten, um ihnen zuzuwinken, erfaßte die Beutebüchse mit den Zigaretten und ließ sie in kreisender Bewegung rotieren, von links nach rechts, von rechts nach links. Die Sonne legte sich auf das glitzernde Blech und ließ es blinken wie einen Spiegel.
»Was ist denn das für eine Vogelscheuche?« fragte auf der anderen Seite Bataillonsführer von Klingenstein.
»Eine Falle vermutlich«, erwiderte der Adjutant.
»Quatsch!« entgegnete der Hauptmann, dessen Funkverbindung vor ein paar Stunden ausgefallen war. »Das ist doch Feldwebel Kleebach, Mensch!«
Das Bataillon rollte in Formation auf ihn zu. Der Kommandeur sprang mit einem Satz aus dem Führungspanzer. »Sie fahren wohl spazieren, was?« knurrte er, sah dabei zum Gros der Einheit Kleebach hinüber, erkannte die geschnappten Marks und begann zu begreifen.
»Befehl ausgeführt«, meldete Kleebach ohne Erregung. »Zehn britische Panzer vom Typ Mark II und drei Lkw's erbeutet, sieben Panzer zerstört, 95 Tommies und drei Offiziere gefangen, keine Verluste, Munitionsbestand vollständig.«
»Mensch«, erwiderte Klingenstein ergriffen, schob seine Feldmütze nach hinten und kratzte sich hinter dem Ohr, »und wir kurven hier stundenlang herum, weil sich diese Affen von der Versorgungseinheit schnappen ließen.«
»Benzin können Sie von uns abkriegen«, antwortete Kleebach.
»Phantastisch!« sagte der Kommandeur und klopfte seinem Feldwebel auf die Schulter. »Sie sind ja reif für Sonderurlaub, Beförderung und Ritterkreuz auf einmal.« Er nahm die Blechbüchse mit den Beutezigaretten aus Kleebachs Arm.
»Mag sein, Herr Hauptmann«, erwiderte der Feldwebel ungerührt, »trotzdem hätte ich auch gern ein paar anständige Zigaretten behalten.«
Das dritte Jahr des Zweiten Weltkriegs brachte die ersten Anzeichen der militärischen Wende: Die Blitzsiege begannen in der Sackgasse zu verhungern. Die Fanfaren der Sondermeldungen konnten nicht mehr die Binsenweisheit übertönen, daß nur der Tod den Krieg gewinnt. Die Zeit füllte die Anzeigenplantagen der Zeitungen mit uniformierten Heldennachrufen, machte Schwarz zur Modefarbe, die Angst zum täglichen Brot, riß die Familien noch mehr auseinander, füllte die Kirchen und leerte die Schulen …
Auch bei der Familie Kleebach, Berlin-Charlottenburg, Ecke Lietzenburger und Wielandstraße, Rückgebäude, hatte es Veränderungen gegeben. Der Vater, Teilnehmer des Ersten Weltkrieges, mußte sich einer Nachuntersuchung stellen und wurde gvH – garnisonsverwendungsfähig Heimat – geschrieben. Achim, der Pimpf, hatte schon den RAD hinter sich und erlebte gerade die militärische Grundausbildung in einem sächsischen Garnisonsnest. Fritz, der Flugzeugführer, wurde plötzlich vom Westen nach Sizilien verlegt. Von Thomas, dem Ältesten, war die Post überfällig. Freddy, der Gigolo, ließ sich immer seltener zu Hause sehen, und Marion, die einzige, die noch in der Familie war, begann, den Eltern Sorge zu machen. Sie war offiziell mit Heinz Böckelmann, dem netten Jungen verlobt, der längst wieder an der Front stand. Der Betrieb, bei dem Marion als Sekretärin arbeitete, mußte schließen, und das stellte die jetzt Neunzehnjährige vor die Alternative, Stabshelferin oder Rüstungsarbeiterin zu werden.
»Ich bin doch nicht doof und mach' mir die Hände schmutzig«, sagte sie zu ihren
Weitere Kostenlose Bücher