Feldpostnummer unbekannt
Eltern, während sie sich die Lippen nachzog. Marion spitzte sie, als ob sie sich selbst küssen wollte: Sie trug ein geschickt geschneidertes Kleid und sah aus wie ein Mädchen, nach dem sich alle Landser umdrehten, was sie ausgiebig zu genießen pflegte.
»Du gehst schon wieder aus?« fragte Mutter Kleebach.
»Warum nicht?« entgegnete Marion schnippisch.
»Mit wem?« fragte der Vater.
»Mit Freunden.«
»Meinst du nicht, daß sie sich einmal vorstellen sollten?«
»Ach du immer …«, versetzte Marion gereizt, »mit deinen altmodischen Ansichten, wir leben doch nicht mehr im Mittelalter.«
»Hast du den Brief von Heinz beantwortet?«
»Morgen«, erwiderte sie.
Einen Moment sah es aus, als ob Arthur Kleebach seinem Zorn nachgeben würde. Er fing einen Blick seiner Frau auf und beherrschte sich fast wider Willen.
»Marion«, sagte die Mutter weich, »magst du Heinz nicht mehr?«
»Unsinn«, entgegnete die Jüngste barsch, »aber ich bin doch noch jung, ich kann nicht immer zu Hause sitzen … Däumchen drehen und Trübsal blasen …«
»Du weißt doch, wie er auf einen Brief von dir wartet …«
»Wie logisch.« Marion hob die Schultern. »Dann freut er sich einen Tag später bestimmt auch noch, oder nicht?« Sie warf sich den Mantel über und ging.
Vater Kleebach sah ihr am Fenster nach. Sie bot ein Bild adretter Selbstsicherheit, eine Spur zu elegant gekleidet für den Kriegsalltag, aber vielleicht waren ihr die Passanten dafür dankbar.
»Sie ist doch erst neunzehn«, sagte die Mutter, die an das Fenster getreten war, »und sie muß auf so viel verzichten, was wir damals hatten … vielleicht sind wir zu streng mit ihr …«
»Vielleicht«, entgegnete der biedere Postbeamte nachdenklich.
Mit den Jungs war er besser zurechtgekommen, aber mit der Lebensgier, die er in Marions Verhalten von Tag zu Tag mehr zu erkennen glaubte, konnte er sich nicht so leicht abfinden, aus der Furcht heraus, sein Nesthäkchen möchte sich zu früh krümmen.
Sonst ging der Alltag weiter wie immer. Arthur Kleebach hatte sich weiterhin erfolgreich der fälligen Versetzung in den Innendienst entzogen und ging zweimal täglich durch sein vertrautes Revier, schämte sich, wenn er mit leeren Händen kam, und freute sich mit den Müttern und Frauen, denen er ein Lebenszeichen ihrer Angehörigen bringen konnte, von dem man nicht wußte, ob es nicht schon vom Tod überrundet worden war. Aus durchschnittlich einer Todesnachricht, die er noch vor einem Jahr wöchentlich zustellen mußte, waren jetzt oft fünf bis acht geworden.
Die Inflation der Zahl minderte nicht das Leid der Hinterbliebenen. Auf seinem täglichen Dienstweg brachte Arthur Kleebach der Blick in die Abgründe der Verzweiflung neben seiner eigenen Trauer um den gefallenen Gerd die Erkenntnis bei, daß das echte Heldentum nicht da ist, wo Orden verliehen und Gräber geschaufelt werden, sondern zu Hause, in der Familie.
Die Sorge um ihre Söhne multiplizierte sich bei den Kleebachs mit vier, die eigentlich fünf sein müßten. Am schlimmsten war es in der Nacht. Arthur Kleebach lag neben seiner Frau, täuschte Schlaf vor und wußte, daß Maria wieder lautlos in die Kissen weinte. Sie konnte sich mit Gerds Tod nicht abfinden, so sehr sie es vor ihm zu verbergen suchte. Und dann spürte er, wie etwas an seiner Haut entlanglief, bis sie pelzig wurde, und er wußte, daß er betete: Gott, lass sie gesund nach Hause kommen … nicht wegen mir. Maria ist herzkrank, und eine Mutter, wie man sie suchen muß … und sie hat schon so viel mitgemacht … und ein zweites Mal würde sie es nicht überstehen …
Maria Kleebach richtete sich auf. »Du kannst auch nicht schlafen?« fragte sie leise.
»Doch«, entgegnete er betont nebensächlich, »muß nur mal rasch aufstehen …«
»Thomas hat wieder nicht geschrieben«, sagte sie.
Er griff nach ihrer Hand. Der sanfte Druck, mit der er sie umschloß, umfaßte sechsundzwanzig Jahre Leben.
»Ich war doch selbst Soldat … wenn man nicht im Einsatz ist, ist man so hundemüde, daß einem der Bleistift aus der Hand fällt … Und jetzt schlaf gut.«
»Ja«, erwiderte Maria Kleebach.
Sie versuchten, noch ein paar Stunden voreinander zu verbergen, wie sehr sie die Sorge wachhielt …
An die Rolle eines Helden mußte sich Thomas Kleebach erst noch gewöhnen. Er war zu einem Star der Wochenschau geworden, schon bevor die PK-Leute wußten, ob er photogen sei. Aber die in einer Reihe aufgestellte Beute und die 98
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