Feldpostnummer unbekannt
Treffer. Plötzlich waren die Tommy-Panzer wie fette, schwarze Käfer in die Wüste gesät, und sie rollten, von drei Seiten feuernd, gegen diese offensichtlich verrückten Germans heran. Volltreffer links von Kleebach. Den Panzer zerriß es wie eine lächerliche Konservenbüchse und Thomas konnte gerade noch feststellen, daß es nicht der Wagen war, in dem sein Bruder Achim saß. Dann hatte es auch ihn erwischt. Sein Motor brannte, gleich mußte die Munition explodieren.
Er riß den Deckel des Turmluks auf und brüllte: »Raus mit euch!«
Der Funker schaffte es. Der Fahrer knallte in der Erregung mit dem Kopf gegen die Stahlplatte und sackte zurück. Thomas hob ihn mit barbarischer Kraft hoch und stemmte ihn wie einen Sack durch die Öffnung und warf ihn mit beiden Händen herunter, sah noch, daß der Mann auf die Beine kam und wegwetzte, nichts wie weg. Dann sprang auch er hinaus, schaffte zwanzig Meter, bis ihn die MG-Garbe erfaßte und er sich überschlug wie ein Betrunkener, den der Gastwirt unsanft vor die Tür setzt, und mit ausgestreckten Armen und Beinen liegenblieb.
Ein paar Sekunden danach hatten die beiden glücklicheren Insassen des Führungspanzers den offenen Schützenpanzerwagen erreicht, stiegen ein, und der stellvertretende Kompanieführer, ein Oberfeldwebel, ließ das Feuer einstellen und befahl per Funk den Wagen, sich abzusetzen.
In seinem Panzer saß Achim Kleebach, der Pimpf, und wußte, daß Thomas schwer verwundet, wenn nicht tot im Staub lag, und es machte ihn verrückt. »Halt!« brüllte er den Oberfeldwebel an, »ihr könnt ihn doch nicht so …«
»Halt die Klappe.«
Der Junge starrte ihn an. Plötzlich fuhren seine Hände vor und schnappten wie Greifhaken am Hals des Oberfeldwebels zusammen. Er würgte den Mann, bis er die Augen verdrehte, dann ließ er ihn los und brüllte den Fahrer an: »Halt, oder …«
Der Gefreite nahm entsetzt den Fuß vom Fahrpedal. Der Junge riß den Deckel auf und stürzte blindlings davon. Links und rechts von ihm spritzten die MG-Einschüsse über den Sand wie flache Steine an der glatten Wasseroberfläche. Es war ihm gleichgültig. Er sah die Panzer von allen Seiten auf sich zukommen und rannte ihnen entgegen.
Es war Amoklauf, zugleich Verzweiflung und blindwütige Tapferkeit, eines jener Bravourstücke im Krieg, wie sie ausnahmsweise Sinn hatten, weil es nicht um die Vernichtung des Feindes, sondern um die Rettung eines Menschen ging. Achim fragte nicht danach, daß er sein Leben in die Schanze schlug, er wollte seinen Bruder holen, den er gleichzeitig liebte und hasste, und er wollte Mutter und Vater die Nachricht mit dem schwarzen Rand ersparen, ohne zu bedenken, daß es ja noch schlimmer für seine Eltern sein mußte, wenn sie sie in doppelter Ausfertigung erhielten.
Der Panzer, aus dem Achim gesprungen war, lag im Beschuß, und sein Fahrer fuhr fluchend Zickzack, um nicht gleich zerrissen zu werden. Aber das Beispiel des Jungen hatte auch ihn verrückt gemacht. Und er fuhr nicht den anderen nach, denen das Absetzen offensichtlich gelungen war, sondern er brummte auf der Stelle hin und her, um dem Jungen wenigstens noch eine winzige Chance zu lassen.
Mit einem letzten Satz sprang der Pimpf an seinen Bruder heran, mit einem flachen Sprung warf er sich neben ihn, zögerte keine Sekunde, hob ihn mit letzter Kraft über die Schulter und trug ihn, ohne an Deckung zu denken, zurück. Der Fahrer hatte es gesehen und wollte hinter soviel Mut nicht zurückstehen. Dem Feind ein Ziel bietend, fuhr er schnurgerade auf Achim zu. Hielt. Zu zweit hievten sie Thomas durch den Turm und dann hieß es für den Stahlkasten, der bisher so unheimliches Glück gehabt hatte: Karbid, und das ist in der Panzersprache: Vollgas.
Der Wagen war gerade zwanzig Meter gekommen, als zwei, drei Granaten genau an die Stelle wuchteten, an der er gerade noch gehalten hatte. Die Engländer kamen langsam heran, vorsichtig; da sie von Rommel so oft genarrt worden waren, witterten sie hinter jeder deutschen Bewegung eine Falle. Das rettete die letzten Fahrzeuge der Einheit Kleebach.
Achim beugte sich über seinen Bruder. Thomas sah schlimm aus, er stöhnte, war aber bewußtlos. Die durchblutete Uniform hing ihm in Fetzen am Leib. Blut floß ihm über das Gesicht, quoll aus der Schulter und dem rechten Oberschenkel. Der Pimpf arbeitete mit fiebernden Händen, stellte fest, daß es an der Schläfe nur ein Streifschuß war, stopfte Verbandspäckchen in die Schulterwunde und versuchte
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