Feldpostnummer unbekannt
die Blutung am Oberschenkel zu stillen, doch die Mullbinde färbte sich rot, bevor er sie noch richtig umwickelt hatte. Er band das Bein ab, richtete sich auf, betrachtete Thomas, hatte eine inbrünstige Bitte im Gesicht und betete auch, ohne es zu wissen: Herrgott, lass ihn durchkommen. Es ist nicht wegen mir, wegen Mutter und …
Der höllische Schmerz brachte den jungen Offizier wieder zu sich. Er versuchte, sich aufzurichten, fiel zurück und sah sich mit irren, fiebrigen Augen um. Er erkannte Achim, versuchte zu lächeln und wurde wieder bewußtlos dabei.
Nach zehn Kilometern ging dem Panzer der Sprit aus. Die Besatzung stieg aus und jagte den Stahlkasten in die Luft. Je zwei Mann trugen Thomas beim Marsch durch die Wüste. Sie hatten Glück. Sie stießen auf eine deutsche Nachhutkolonne, und nach einer weiteren halben Stunde waren sie neben einem fahrbaren Lazarett eingekeilt.
Sie lieferten ihren schwerverwundeten Kompanieführer ab. Ein Stabsarzt beugte sich über ihn, richtete sich wieder auf und verzog das Gesicht. »Was schleppen Sie mir denn hier Leichen an«, brummelte er, sah die brennenden Augen des Jungen und setzte hinzu: »Ist ja kein Wunder, daß einem hier die Nerven durchgehen.«
Achim wich nicht von der Bahre.
»Was stehen Sie denn noch rum«, fuhr ihn der überlastete Sanitätsoffizier an.
»Es ist mein Bruder«, erwiderte Achim fast ohne Stimme.
Der Stabsarzt begriff, nahm sich eine Sekunde Zeit, legte den Arm um die Schulter des Jungen und sagte: »Ich bringe ihn schon durch.« Mit einem Versuch zu lachen setzte er hinzu: »Nun gehen Sie schon endlich. Wir können nicht auch noch Zuschauer brauchen.«
Achim war ergriffen vor Dankbarkeit. Und dann, als alles überstanden schien, durchpulste ihn sinnloser Zorn auf den Abteilungskommandeur, der für all das verantwortlich war, und er nahm sich vor, ihm seine Meinung ins Gesicht zu brüllen. Er, der Pimpf, einem Major, einem Gott fast im Krieg. Aber es würde nicht mehr möglich sein, denn Major Schreyvogl, mittlerweile selbst in die Zange feindlicher Panzer geraten, hatte die Gefangenschaft einem gefährlichen Ausbruch vorgezogen …
Fast in jeder Minute, da das fahrbare Feldlazarett eingekeilt war, brachten die Landser einen neuen Verwundeten an, der notdürftig versorgt wurde. Zur Operation war keine Zeit, erst einmal mußte die Sanitätskolonne aus der Kampfzone heraus. Während des Transportes starben vier Mann; die Lebenden wie die Toten hatten fast den gleichen Ausdruck im Gesicht, und das Brummen der Motore wurde von den grellen Schreien der Menschen übertönt. Endlich hielt das Lazarett an, ein Operationszelt wurde aufgeschlagen, und der Stabsarzt bestimmte die Reihenfolge der Operationen, die bei vielen Verwundeten über Leben und Tod entschied.
Thomas Kleebach war einer der ersten.
»Los«, fauchte der Stabsarzt seinen Sani-Feldwebel an, »bringen Sie Morphium.«
»Woher nehmen?« entgegnete der Portepeeträger träge.
»Dann Evipan, Sie Idiot.«
»Auch schon alle.«
Zuerst einmal fluchte der Arzt, dann ließ er Barbera, dicken, italienischen Wein, an die Verwundeten ausgeben.
»Sauft, Kinder, sauft«, rief der Feldwebel und brachte den dunklen Wein gleich im Kochgeschirr an. »Trinken macht lustig, und der Staat zahlt alles.«
Die meisten folgten willig, einige sogar gierig, und wer es nicht mit eigener Kraft schaffte, bei dem wurde nachgeholfen, wie bei Thomas Kleebach.
»Nicht so bescheiden«, tobte der Feldwebel. »Los, Kinder, sauft, sauft, sauft!«
Ein paar Schmerztabletten erhielten sie als Zugabe. Der erste, der ins Operationszelt getragen wurde, winkte lässig mit der Hand. Die Runde der unfreiwilligen Zecher wurde vergleichsweise lustig, dann kam der steile, aufgurgelnde Schrei aus dem Zelt. Sie alle erschraken und betrachteten sich mit flackerndem Blick.
Als nächster war Leutnant Kleebach an der Reihe. Aus tiefliegenden Augen sah er den Mann im weißen Kittel an, hörte noch: »Glatter Schulterdurchschuß, Streifschuß am Kopf, Splitter im Oberschenkel. Na, gute Nacht … Pinzette.«
Der Stabsarzt betrachtete den Verwundeten.
»Können Sie mich verstehen?«
Thomas versuchte zu nicken.
»Ich muß Ihnen die Splitter ziehen«, sagte der Arzt. »Das ist kein Vergnügen für Sie … für mich auch nicht … Beißen Sie die Zähne aufeinander.«
Drei Mann hielten Thomas Kleebach fest, als ihm der Stabsarzt den ersten Splitter zog. Der junge Offizier verkrallte die Schneidezähne in der Unterlippe. Er
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