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Feldpostnummer unbekannt

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Titel: Feldpostnummer unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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erkannte den dicken Mühlwein, den Pommern mit dem Heimatschuß, und er sah entsetzt, daß sich der Mann noch bewegte. Achim kniete neben dem Kameraden nieder, schob ihm eine zusammengefaltete Zeltplane unter den Kopf und wartete darauf, daß der Sterbende schrie. Dann begriff er erleichtert, daß es Mühlwein nicht mehr konnte und schämte sich dafür.
    Der Gefreite wollte sprechen. Achim winkte ab. Aber des Pommern Freude über den Heimatschuß potenzierte letzte Vitalität, hielt ihn noch im entfesselten Wahn eine lange Minute am Leben, ließ ihn mit glänzenden Fieberaugen lächeln. »Hei-mat-schuß«, lallte er, »bringst – du – mich ins – Lazarett – Ober-Oberfähnrich?« Bei jeder Silbe quoll Blut aus seinem Mund, lief über das Kinn, den Hals hinab, tropfte in das Gras, wo es endlich gerann.
    »Ja«, erwiderte Achim weich, »du wirst verbunden, kommst sofort zurück, und dann geht der Zug ab … Richtung Heimat … sei froh …«
    »Bin – ich – auch …«, sprach der Sterbende mühselig. Sein Körper war schon steif, aber sein Gesicht lebte noch, schwere, gedehnte Sekunden lang, den schleichenden Tod mißachtend, auf den Achim Kleebach wartete, setzte, hoffte.
    »E-ri-ka …«, röchelte der dicke Mühlwein, »und jetzt … sie hat … hat ver-spro-chen …«
    »Nicht sprechen«, entgegnete Achim.
    »Wir – wa-ren … so dumm – dumm … noch – nie …« Seine Worte wurden jetzt undeutlich. Aus seinem zitternden Mund quoll kein Blut mehr. Die Adern hatten schon das letzte hergegeben. Mühlwein wehrte sich noch. Seine Augen hielten sich am Licht fest, an Zuhause, an seinem Mädchen, an dem Heimatschuß, der ihm die Fahrkarte zu Erika bescherte …
    »Wa-Wasser …«, stöhnte er.
    »Gib's ihm«, sagte Unteroffizier Hanselmann, der hinter Achim getreten war.
    Der Oberfähnrich schüttelte verbissen den Kopf.
    »Ist doch gleich vorbei«, raunte ihm der Bulle zu, »zieh ihm das Dingsda raus!«
    »Nein«, erwiderte Achim fast irre.
    Ob er das Seitengewehr aus dem Leib zog oder nicht: Mühlwein war ohnedies zum Sterben verurteilt, aber er wollte diesem hundsgemeinen Tod nicht auch noch Beihilfe leisten. Und in der nächsten Sekunde bereute er es, wie nie etwas zuvor, sah, wie der Sterbende sich mit letzter Kraft aufrichtete, wie seine Augen die durch den Leib gebohrte Waffe erkannten, wie das Lächeln auf seinem Gesicht ganz langsam starb und wie der Mann noch ein paar Sekunden vor seinem Ende begriffen hatte, daß er von dem Heimatschuß nichts mehr haben würde.
    »E-ri-ka …«, versuchte Mühlwein noch zu sagen, aber der Tod nahm ihm die letzte Illusion in Silben von den steifen, blutleeren Lippen.
    Dann war es vorbei.
    Und Unteroffizier Hanselmann riß dem Toten das Seitengewehr aus dem Leib, hielt es ein paar Sekunden lang mit letztem Hass und Grimm fest, als könnte er es dem Mann, der für diese viehische Metzelei zuständig war, in das Gesicht werfen.
    Dann ließ er es willenlos auf den Boden fallen und legte bei der Bergung der Toten mit Hand an, bis er mit den anderen in die Stellung springen mußte, weil die Russen zu ihrem dritten Angriff angetreten waren …
    Als der Obergefreite Heinz Böckelmann in Köln vom Trittbrett des Zuges sprang, empfing ihn der Nachtgesang der Zeit: die Luftschutzsirene. Er nickte gleichmütig, als hätte er es nicht anders erwartet, sah auf die Menschen, die in blinder Panik auf die Luftschutzbunker zustürzten und in dicken Klumpen einander den Eingang versperrten.
    Er kam einen Tag zu früh nach Köln. Nichts hatte ihn in Berlin gehalten, nicht einmal seine Mutter. Das Häusermeer der Großstadt war für ihn ein riesiger Friedhof gewesen, seitdem er wußte, daß ihn Marion betrogen hatte.
    Eine Wehrmachtsstreife brüllte ihn zusammen, er mußte in den nächstliegenden Keller, in dem er eine klassenlose Gesellschaft der Angst antraf: müde Arbeiter, ergebene Mütter mit weinenden Kindern, einen Betrunkenen, den Luftschutzwart, der aufgeregt die Hebel der Stahltüre schloß, als hinge von ihm das Überleben des Angriffs ab. Der Raum bebte leicht, die Augen der Menschen flackerten, von der Wand fielen Sand- und Mörtelbrocken, das Notlicht schwankte. Am Stadtrand schoß die Flak, dann kam das Rauschen der Bomben. Sechsmal, siebenmal. Die Menschen im Keller zogen die Köpfe ein. Böckelmann war der einzige, der keine Angst hatte. Ihm war es wurscht, gleichgültig, scheißegal, wie es weiterging.
    Als die zweite britische Welle angriff,

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