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Feldpostnummer unbekannt

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Titel: Feldpostnummer unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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sah er sich wieder in der dunklen Berliner Seitenstraße, schmeckte den Fusel im Mund und schritt an lauernden Dirnen vorbei. Er hatte davon geträumt, sich die Uniform vom Leib zu reißen, etwas zu werden, Marion zu lieben und mit ihr als Mann und Frau zusammenzuleben, und jetzt sah er sie mitten im Ungeziefer der Nacht, mit einem verbrauchten Gesicht und mit einem klappernden Schlüsselbund in der Hand. Sein Atem ging schneller. Etwas hämmerte dumpf gegen seinen Kopf, bis er merkte, daß es die Einschläge der Bomben waren, die ganz in der Nähe krepierten.
    Das Licht setzte aus, und die Menschen schrien. Das Abwehrfeuer der Flak verstärkte sich. Der nächste Bombenteppich fiel vom nachtschwarzen Himmel und radierte wahllos jedes Leben unter sich aus: Frauen, Kinder, Greise, Hunde, Katzen, Kanarienvögel …
    Schließlich endete auch das.
    Heinz Böckelmann hatte es eilig, obwohl kein Bett auf ihn wartete. Er ging nach oben, fröstelte leicht, schlug sich den Mantelkragen hoch, sah den Feuerschein, der sich am Himmel spiegelte, erreichte zwei Minuten später das von Brandbomben erfaßte Haus, dessen Dachstuhl wie eine Riesenfackel nach oben loderte und für das es so wenig Rettung mehr gab, daß sich die Feuerwehr auf das Abschirmen der Nachbarhäuser beschränkte.
    Der Junge erreichte die Absperrung und wurde von einem aufgeregten Reserveoffizier zu Aufräumungsarbeiten kassiert. Er schleppte Sand herbei, und dann hörte er den Schrei. Nicht nur er, auch die anderen richteten sich auf und sahen entsetzt in das Flammenmeer.
    Wieder kam der Schrei.
    »Ein Kind«, sagte einer.
    »So was«, fluchte ein anderer. »Egoisten gibt's. Da wetzen die Eltern in den Keller und lassen die Kinder zurück.«
    Heinz Böckelmann hörte es wie im Nebel. Er sah nach oben. Plötzlich lachten die anderen Männer vom Bergungstrupp. Auf dem Sims eines Fensters, das die Hitze gesprengt hatte, kauerte in Todesangst eine von den Flammen umzingelte Katze und schrie wie ein Kind.
    Nur eine Katze. Nichts als eine Katze, und plötzlich spürte Heinz Böckelmann eine wilde Entschlossenheit. Es war Wahnsinn, das Haus zu betreten. Aber er hatte schon viel schlimmere Situationen überstehen müssen, hatte seine Haut unzählige Male zu Markt getragen, um Menschen zu töten. Und wie erlöst dachte er jetzt, wieviel besser ist es für eine Katze draufzugehen, als für eine dämliche Mulde oder Anhöhe.
    Er stürmte auf das Haus zu. Ein paar Männer wollten ihn zurückreißen, aber sie sahen seinen Blick und ließen ihn vorbei. Er lief zwischen herabprasselnden Mauerbrocken hindurch, flitzte durch die Türe. Er glaubte im Qualm zu ersticken, legte sich das Taschentuch über den Mund, kam noch ein paar Meter weit, suchte die Katze, und auf halben Weg brach der Boden über ihm durch, fielen brennende Balken und Steine auf ihn, begruben ihn unter sich. Er spürte noch benommen, daß er verschüttet wurde und dachte erlöst, daß er alles überstanden hätte, bevor er ohnmächtig wurde.
    Er hörte nicht mehr die barsche Stimme, die brüllte: »Los, holt diesen Idioten heraus.«
    Berlin stand nicht in Flammen, in dieser Nacht; in der Reichshauptstadt regnete es. Dicke Tropfen prasselten gegen die Dachrinne, monoton und stumpfsinnig. Der Wind blies Schatten in das Zimmer. Die Glocken der nahen Gedächtniskirche schlugen pedantisch zwölfmal. Mitternacht. Sie verwehten Thomas Kleebachs letzte Stunden.
    Er richtete sich auf und betrachtete Luise.
    Es hatte kein Hindernis mehr zwischen ihnen gegeben. Es war ihnen gelungen, den Schatten zu überspringen. Auf einmal war alles selbstverständlich und natürlich, und sie brauchten zu ihren Gefühlen nichts weiter hinzulegen. Sie verschwendeten sich aneinander, hielten sich fest. Die Zeit freilich konnten sie nicht festhalten. Sie war bemessen, abgezählt; sie bestand aus vier Wochen, und eben war der achtundzwanzigste Tag angebrochen. Thomas Kleebach stand auf, trat vorsichtig an das Fenster heran und schloß es. Er machte kein Geräusch, aber er spürte, wie ihm Luise in der Dunkelheit entgegenlächelte. Er sah ihre glänzenden Augen, und dann lag er in ihren Armen, preßte sie an sich, daß es weh tat. Er konnte sich nicht an Luise sattsehen. Sein eigener Name schien ihm auf einmal viel schöner, denn sie hieß jetzt ebenso. Vor drei Wochen hatten sie geheiratet, in der gleichen Kirche, deren Glocke ihnen jetzt die Zeit stahl.
    »Wie lange kann dieser Krieg noch dauern?« fragte Luise jetzt leise.
    »Ich weiß

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