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Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)

Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)

Titel: Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Welsh
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geklingelt hatte.
    Durch die offene Haustür fiel Licht auf den Gehsteig, aber Felicity konnte von der Person, die dort stand, nicht viel erkennen; sie sah nur, halb verdeckt von den Säulen des Vordachs, eine Gestalt, die in einen langen Umhang gehüllt war. Hinter ihr auf der Straße waren undeutlich mehrere Leute auszumachen, die Koffer und Kisten trugen.
    Die Mutter rief noch einmal nach ihr. »Felicity, kommst du mal bitte runter?«
    Felicity steckte die Holzkugel in ihre Tasche und lief eilig die Treppe in den ersten Stock hinunter, ihre Treppe, denn außer ihr benutzte sie praktisch niemand. Bevor sie um die Ecke bog, fiel ihr gerade noch ein, dass sie auf den Stufen zum Erdgeschoss, die mit einem vornehmen roten Läufer belegt waren, zu einer gemessenen Gangart übergehen musste.
    Ihre Mutter im Hausflur sah mit einem Ausdruck zu ihr hoch, in dem sich Verwirrung und gespannte Erwartung mischten. Neben ihr stand die Gestalt in dem Umhang. Es war eine Frau. Sie gab einem dunkelhäutigen Mann Anweisungen, der einen Schrankkoffer durch die Tür bugsierte.
    Die Mutter machte einen leicht zerstreuten Eindruck. »Felicity«, sagte sie, »hast du deinen Vater gesehen? Ich weiß gar nicht, wo er ist.«
    Felicity schüttelte den Kopf und wartete höflich, dass ihre Mutter sie der Besucherin vorstellte.
    Mrs Gallant fuhr sich nervös durchs Haar. »Ganz unverhofft … Wirklich, ein Tag voller Überraschungen. Das ist, äh … deines Vaters … die Frau des Vaters deines Vaters.« Sie verstummte verwirrt.
    Die Gestalt wandte Felicity jetzt endlich ihr Gesicht zu. Sie war eine große, schlanke ältere Dame, die früher einmal spektakulär schön gewesen sein musste. Selbst jetzt war sie noch attraktiv. Elegant ragte sie vor Felicity auf.
    »Ich bin die Frau deines Großvaters«, sagte sie. »Du wirst mich Großmutter nennen.« Ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln, aber ihre blauen Augen wirkten kühl. Sie erinnerten Felicity ein bisschen an den ausgestopften Hai, den sie im Schifffahrtsmuseum gesehen hatte. Im Geist ging sie staunend die jüngsten Ereignisse durch: Sie hatte eine wirklich ungewöhnliche Woche hinter sich. Von einer Großmutter war bis dahin nie die Rede gewesen. Was hatte das alles zu bedeuten?
    »Genau. Großmutter.« Mrs Gallant schien dankbar zu sein, dass das rechte Wort ausgesprochen war. »Natürlich. Deine Großmutter ist zu Besuch gekommen. Ist das nicht schön?«
    Bildete Felicity sich das nur ein, oder war ihre Mutter tatsächlich verunsichert? Sie klang so, als versuchte sie krampfhaft, sich selbst davon zu überzeugen, dass alles in bester Ordnung war.
    »Dein Vater hat sie vor einiger Zeit eingeladen«, sagte sie betont heiter. »Ich frage mich nur, wo er abgeblieben ist. Komisch, ich bin mir sicher, dass er eben noch in seinem Arbeitszimmer war.«
    Aber die alte Dame hörte gar nicht zu. Sie beugte sich vor, nahm Felicitys Gesicht zwischen ihre kühlen, trockenen Hände und starrte es forschend an. Es kostete Felicity Überwindung, sich nicht loszureißen, doch sie hielt still und musterte die Züge der alten Dame: die makellos gerade Nase, die hohen Wangenknochen, das weiche weiße Haar, das sehr schick und gar nicht alt wirkte. Sie schauderte, als wehte ein eisiger Luftzug sie an.
    Dann ließ die Frau Felicity los, wandte sich wortlos ab und ging an ihr vorbei. Ihr Interesse war beendet.
    Felicity bewahrte mit Mühe die Fassung und schlug die Augen nieder. Es gehörte sich nicht, andere Leute anzustarren, selbst wenn es sich um Großmütter handelte, von denen man nie etwas gehört hatte und die dann plötzlich wie aus dem Nichts auftauchten. Mit etwas Abstand folgte sie der imposanten Besucherin ins Wohnzimmer.
    Die geheimnisvolle Großmutter besaß die unerschütterliche Selbstsicherheit von Menschen, denen die Natur Schönheit geschenkt hat. Ihre Kleidung war augenscheinlich von bester Qualität, und die ganze Person strahlte Überlegenheit aus. Sie wirkte wie eine Frau, die es nicht gewohnt ist, dass man ihr widerspricht.
    Die Großmutter war noch eine Weile damit beschäftigt, die Männer zu dirigieren, die eine Unmenge von Kisten und Kästen ins Haus schleppten. Offensichtlich war sie es gewohnt, zu befehlen und sämtlichen Leuten ihrer Umgebung Respekt, ja sogar Furcht einzuflößen. »Nicht dahin. Stellen Sie das hochkant hin. Auf den Tisch.«
    Die Mutter stand neben Felicity und fuhr sich immer wieder nervös mit der Hand durch die Haare. »Diese Überraschung …«,

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