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Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)

Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)

Titel: Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Welsh
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dass wir sie Großmutter nennen müssen«, sagte Felicity. »Schließlich ist sie gar nicht wirklich mit uns verwandt, oder?«
    »Ich hoffe, du willst nicht im Ernst vorschlagen, sie mit ihrem Vornamen anzusprechen«, sagte die Mutter.
    Felicity legte sich in das neue Bett. »Papa hat Großmutter nie erwähnt.«
    »Dein Papa will nicht darüber reden«, sagte die Mutter und küsste ihre Tochter auf die Stirn.
    »Natürlich.« Felicity fand, dass es erstaunlich viele Dinge gab, über die ihr Vater nicht reden wollte.
    Irgendwann in der Nacht erwachte Felicity. Sie setzte sich im Bett auf, ihr Herz pochte wild.
    Sie hatte geträumt. Von der Hüterin der Winde. Nein, sie hatte geträumt, dass sie die Hüterin der Winde war. Und dass alle Leute sie ganz bezaubernd fanden. Es war wunderbar. Sie war beliebt und hübsch und sprühte vor Witz und Charme. Sie trug wunderschöne Kleider, ging zu rauschenden Festen und wurde umschmeichelt und umworben. Aber nach einer Weile wurde ihr dieses Leben langweilig, es ödete sie an. Die Menschen schienen mit allem einverstanden zu sein, was sie tat. Nie widersprach ihr jemand, sie trauten sich nicht.
    Bis sie völlig ungehemmt tat, was ihr gefiel, nur um zu sehen, ob irgendjemand sie daran hindern würde. Sie stahl, was immer sie haben wollte. Sie mordete. Sie nahm sich neugeborene Kinder und trank ihr Blut als Mittel gegen das Alter … Und da war Felicity aufgewacht.
    Sie schlüpfte aus dem Bett. Es war nur ein Traum, sagte sie sich. Es ist nur ein Buch. Sie trat ans Fenster und zog die Vorhänge auf. Der Vollmond stand hoch am klaren Nachthimmel. Als sie auf die Straße hinunterschaute, sah sie zu ihrem Erstaunen auf dem Gehsteig gegenüber unter einer Laterne einen groß gewachsenen Jungen mit langen kastanienbraunen Haaren.
    Als ob er spürte, dass er beobachtet wurde, blickte der Junge auf, und sah ihr direkt in die Augen. Das war ihr so peinlich, dass sie rot anlief und sich eilig vom Fenster zurückzog.
    Jeb Tempest, der Enkel des alten Isaac, war nicht zufällig am Haus der Gallants vorbeigekommen. Sie ist also schon in das Zimmer mit Blick aufs Meer eingezogen, dachte er. Ganz schön schnell. Über ihm im klaren Himmel zog eine kleine dunkle Wolke vorbei. Ein Windstoß wirbelte dürres Laub im Rinnstein auf.



Fünftes Kapitel
    A
ls der neue Tag anbrach, hätte man meinen können, Wellow wäre zu Ehren der Sturmwolke blitzblank geschrubbt worden, so sauber und frisch strahlte das Städtchen. Eine milde Herbstsonne ließ das leise bewegte Wasser funkeln. Bald würde es im Hafen vor Menschen nur so wimmeln, auch Felicity würde unter ihnen sein. Ihre Mutter hatte schon vor Wochen bestimmt, dass an diesem Tag in Niton, der nächstgrößeren Stadt, Wintersachen eingekauft werden sollten. Dorthin gelangte man mit dem Schiff.
    Felicity summte der Kopf, so sehr beschäftigten sie die Geschehnisse vom Abend zuvor. Umgeben vom Rosenmuster des Gästezimmers, in dem sie nun wohnen musste, sah sie vor ihrem inneren Auge noch einmal dieses großartige Schiff heransegeln. Ihr war, als stünde sie wieder auf der Landzunge, sie roch das salzige Meerwasser und spürte den Regen auf ihrer Haut. Aber die Erinnerung wurde ihr von dem Gedanken an das zweite wichtige Ereignis des gestrigen Tages vergällt, das weit weniger angenehm war. Sie seufzte.
    Unten im Erdgeschoss hörte sie ihre Mutter rumoren. Auch Poppy war offenbar schon wach. Felicity verkroch sich mit dem roten ledergebundenen Buch unter der Bettdecke. Ihr grauste vor dem ganzen Wirbel, den ihre Mutter veranstalten würde, um sie ganz besonders fein herauszuputzen. Außerdem wusste sie aus Erfahrung, dass bei dem Einkaufsbummel wieder nur »praktische« Kleidung für sie herausspringen würde. Immerhin wollten sie auch nach Segelausrüstung für Felicity schauen, das war denn doch ein kleiner Lichtblick.
    Sie schlug das Buch auf und blätterte darin. Halb abwesend überflog sie ein paar Seiten, doch dann blieb ihr Blick an einer Textstelle hängen und sie runzelte die Stirn. Die Passage erinnerte sie an den Albtraum, den sie in dieser Nacht gehabt hatte:
    Diejenigen, welche Schönheit und Liebreiz besitzen, nehmen sich, nicht zufrieden mit den Vorrechten, die sie ohnehin schon genießen, immer größere Freiheiten heraus. Sie treiben es immer schlimmer, solange die Welt ihnen keine Grenzen setzt. Und die Hüterin der Winde war so über die Maßen schön und bezaubernd, dass man ihr ganz außergewöhnlich viel nachsah. Und dass sie

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