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Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)

Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)

Titel: Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Welsh
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aufgeheizt und die Fenster waren beschlagen. Da ihn niemand bemerkte, schnappte er sich ein Geschirrtuch und trocknete sich damit die Haare ab. Wäre er dabei erwischt worden, hätte er dafür bestimmt einen Klaps hinter die Ohren bekommen.
    Am Esstisch rangelten sich vier seiner älteren Brüder um die besten Plätze. Mrs Twogood nahm einen großen Topf aus dem Backofen, stellte ihn auf den Tisch und fing an, das Essen auszuteilen. Prompt gingen die üblichen Streitereien los:
    »Der hat jede Menge Fleisch. Und drei Kartoffeln. Ich hab nur zwei.«
    »Immerhin hast du was gekriegt – für mich ist wahrscheinlich überhaupt nichts mehr übrig, wenn ich endlich an der Reihe bin.«
    Mrs Twogood machte ungerührt weiter, ohne sich um das Geschrei zu kümmern.
    Henry setzte sich auf den freien Platz am Tisch. Seine Mutter stellte ihm eine große Portion hin und die Beschwerden wurden noch heftiger.
    »Henry braucht gar nicht so viel zu essen.«
    »Das ist ungerecht, Mama. Warum kriegt er immer am meisten?«
    »Damit er nicht vom Fleisch fällt«, antwortete sie gleichmütig. »Der Junge muss noch wachsen.« Sie lächelte ihrem jüngsten Sohn zu.
    »Der wächst bloß in die Breite«, scherzte Bertie, während Fred eine Kartoffel aufspießte.
    »Ich hab dich heute mit deiner Freundin gesehen, Henry«, bemerkte Will, der zweitjüngste der Brüder.
    »Oh, das freut mich«, sagte Mrs Twogood. »Das war sicher Felicity Gallant, nicht?«
    Henry rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her. »Sie ist nicht meine Freundin .« Er wehrte Freds Angriff auf eine seiner Kartoffeln ab.
    »Henry hat eine Freundin, Henry hat eine Freundin«, spotteten Percy und Will im Chor.
    Ihr kleiner Bruder starrte finster auf seinen Teller. »Sie ist nicht meine Freundin.«
    Mr Twogood, der schon zu essen angefangen hatte, ohne sich um die missbilligenden Blicke seiner Frau zu kümmern, schaute auf. »Nimm dich vor den Gallants in Acht. Von denen ist noch nie was Gutes gekommen.«
    »Bitte, Daniel«, sagte Mrs Twogood.
    Henry sah seinen Vater gekränkt an. »Felicity ist nicht so, Papa. Stimmt doch, nicht, Mama?«
    »Ich finde sie wirklich nett, Dan. Sie sagt immer Bitte und Danke – da kannst du bei den meisten lange drauf warten.«
    »Egal, sie ist eine Gallant, mehr brauch ich nicht zu wissen.«
    Niemandem war es aufgefallen, dass Felicity so untypisch spät nach Hause gekommen war. Jetzt stand sie in ihrem warmen, gemütlichen Zimmer am Fenster und sah zu, wie der Regen gegen die Scheiben trommelte, beobachtete die Zickzackwege der Tropfen, die sich mit anderen vereinigten und auf dem Glas hinunterliefen. Sie drückte das Gesicht an die kalte Scheibe und blickte aufs Meer, wo die Lichter der Sturmwolke schimmerten.
    Ihr Zimmer lag im Dachgeschoss, weswegen die Decke an manchen Stellen etwas niedrig war, aber die Winkel und Nischen boten jede Menge Platz für all die Bücher, die Felicity in Gebrauchtwarenläden und auf Flohmärkten gekauft hatte. Und weil der Raum sich ganz oben befand, kam es Felicity vor, als läge er über der Welt und sei irgendwie davon abgeschnitten. Das vermittelte ihr ein besonderes Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Felicity saß gerne an dem Fenster mit dem runden Bogen und sah über die Dächer auf den weiten Ozean hinab.
    Sie nahm die Holzkugel aus ihrer Manteltasche. Der groß gewachsene Fremde aus der Bibliothek war also der Kapitän der Sturmwolke  … Aber warum hatte er ihr diese Kugel gegeben? Und warum das Buch? Sie hielt die Kugel ins Licht und betrachtete sie noch einmal. Das Läuten der Türglocke schreckte Felicity aus ihren Überlegungen auf. Sie runzelte die Stirn. Die Gallants bekamen nur selten Besuch.
    Von unten drangen gedämpfte Stimmen herauf, aber Felicity kümmerte sich nicht darum, sondern schlug das rot gebundene Buch auf.
    … aber dieses Mal erzählte sie eine schrecklich grausame Geschichte, denn sie alterte und ihre Lebenskraft schwand. Sie sprach von Menschenopfern . Und davon, wie sie gierig das Blut der Kinder trinken, sie aussaugen wollte bis zum letzten Tropfen, taub für ihre Schmerzensschreie, damit sie selbst länger lebte. Und von da an war die Geburt einer dritten Tochter etwas Schlimmes, Angst und Kummer verdunkelten das freudige Ereignis.
    Felicity schauderte, und dann zuckte sie zusammen, denn ihre Mutter rief vom Fuß der Treppe nach ihr. Ihre Stimme klang aufgeregt. Widerstrebend legte Felicity das Buch weg und trat ans Fenster, um zu schauen, wer an der Tür

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