Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)
»Es klingt vielleicht komisch, aber heute Morgen war sie so wütend, dass ich sie fast nicht wiedererkannt hätte. Ihr Gesicht war ganz verzerrt.«
»Ja, meine Mutter sieht auch zum Fürchten aus, wenn ihr der Kragen platzt.«
Felicity schüttelte den Kopf. »Nein, sie hatte auf einmal irgendwie ein ganz anderes Gesicht. Es klingt verrückt, ich weiß, aber es war so.«
Henry glaubte nicht an Zauberei oder übernatürliche Kräfte welcher Art auch immer – die Twogoods waren praktisch denkende Leute. Normalerweise hätte er auf solche Spekulationen mit spöttischem Gelächter reagiert, aber er merkte, dass Felicity wirklich mit ihren Nerven am Ende war, und so lächelte er nur mitfühlend.
Die Teilnehmer an der Regatta wurden aufgerufen, sich bei den Booten zu sammeln.
»Du musst gehen«, sagte Henry freundlich. »Bis später.« Er schenkte ihr ein aufrichtiges strahlendes Lächeln, und Felicity konnte nicht anders, als es zu erwidern.
Achtes Kapitel
E
s war alles nicht so schlimm, wie sie erwartet hatte, fand Felicity, als sie die Holztreppe neben dem Clubhaus hinunterging. Vielleicht brauchte sie die Holzkugel als Glücksbringer gar nicht. Am Ufer herrschte schon reges Treiben. Teilnehmerinnen von beiden Schulen zogen ihre Jollen auf Slipwagen zum Wasser.
Bei solchen Wettkämpfen stellte die gastgebende Schule dem Gegner Boote zur Verfügung – die Mädchen von der Whale Chine benutzten also Jollen, die der Priory Bay gehörten.
»Ich verstehe ja, dass eure Eltern keine Lust haben, was Anständiges für euch zu kaufen«, murrte Miranda Blake, während sie gekonnt die Segel einer schon ziemlich ramponierten Jolle klarmachte. »Ich sehe bloß nicht ein, warum wir gezwungen werden, mit euren alten Pötten rauszufahren.«
Sie schaute auf und sah Felicity kommen. »Na, auch schon da, Gallant?« Sie unterbrach ihre Arbeit und musterte ausgiebig Felicitys Kleidung. »Du trägst wohl die alten Sachen deiner Mutter auf?«, fragte sie.
Felicity wurde rot. Dann fiel Mirandas Blick auf ihre Schuhe und ihr entfuhr ein Aufschrei boshaften Entzückens. Sie packte ihre Teamkollegin am Arm. »Schau dir mal diese Deckschuhe an.« Ihre Stimme überschlug sich. »Die sind echt der Knaller.«
Sämtliche Mädchen der Whale Chine kreischten vor Lachen und die von der Priory Bay blickten auf.
»Wie soll man da gewinnen, wenn man so eine in der Mannschaft hat?«, sagte eine missmutig. »Mit den Tretern schafft sie es bestimmt nicht mal, ins Boot zu klettern.«
»Trampel Gallant mit den klobigen Galoschen.« Miranda kicherte. »Als ob du ohne diese Dinger nicht schon schwer genug wärst.«
Die dröhnende Stimme von Mrs Watson machte den Sticheleien ein Ende: »Da bist du ja, Gallant. Du segelst zusammen mit Makepiece.«
Judy Makepiece war ein kleines Mädchen mit lockigen dunklen Haaren und großen braunen Augen. Felicity lächelte nervös, ihre Partnerin antwortete mit einem gereizten Blick, der nichts Gutes verhieß.
Die Zuschauer kamen nach und nach hinaus auf die Holzterrasse, von wo man auf den Hafen und das Meer blicken konnte. In einer Ecke lehnte ein alter Mann am Geländer. Seine Kleidung verströmte einen schwachen Duft von Tabak mit Vanillearoma; ab und zu hob er grüßend seine Pfeife oder zog eine Augenbraue hoch, wenn er einen Bekannten sah. Sein junger Begleiter trat geistesabwesend mit der Fußspitze immer wieder gegen einen Pfosten, während er ungeduldig aufs Meer hinausblickte.
Drei Jungen gingen vorbei. Der kleinste von ihnen redete aufgeregt auf die anderen beiden ein: »… dieser Blake wird ihr arrogantes Grinsen schon noch vergehen … klar, Felicity hat bestimmt jahrelange Erfahrung. Wenn die nicht segeln kann, wer dann?«
Der alte Mann verzog das Gesicht zu einem ironischen Lächeln.
»Sie hat wirklich noch nie in einem Segelboot gesessen?«, fragte Jeb Tempest leise. Man sah ihm an, dass er es nur schwer glauben konnte.
»In ihrem ganzen Leben nicht«, sagte Isaac.
Jeb schüttelte fassungslos den Kopf.
Felicity schaute hinauf zur Terrasse, während sie und Judy ihre Jolle ins Wasser beförderten. Sie stutzte. Da war wieder dieser Junge.
» Hey! Schläfst du, oder was?«, schrie ihre Partnerin. Felicity schaute sie verständnislos an. »Ich sagte, wir haben Südwestwind; also müssen wir gegen den Wind segeln.« Judy verdrehte genervt die Augen und sprang leichtfüßig in die kleine Jolle. »Steig ins Wasser und halt das Boot«, sagte sie. »Ich mache die Segel klar.«
Felicity
Weitere Kostenlose Bücher