Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)
nass.« Das klang trotzig, war aber in Wirklichkeit das Eingeständnis seiner Niederlage.
»In Ordnung.« Felicity zog ungerührt Schuhe und Socken aus. »Steig ein.«
Henry sah ihr zu, wie sie das Boot durchs seichte Wasser schob und dann, eine Hand am Ruder, geschickt hineinsprang. Es war erstaunlich, welche Fortschritte sie in so kurzer Zeit gemacht hatte, sie war wirklich ein Naturtalent. Es störte sie nicht im Geringsten, wenn die See rau und der Wind heftig war, sie schien die Fahrt dann sogar noch mehr zu genießen. Und ihre Technik war gut. Wenn er ihr etwas erklärte, hörte sie aufmerksam zu und machte dann genau das, was er ihr gesagt hatte.
Draußen auf dem Wasser war sie wie verwandelt, sie war eine ganz andere Felicity als das ernste Mädchen, das er aus der Schule kannte. Henry entschloss sich, besser nicht zu fragen, wie die Dinge bei ihr zu Hause standen. Er wusste im Voraus, was sie antworten würde. »Hast du von Alice was gehört?«, erkundigte er sich.
Felicity verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. Seit Alice die beiden damals am Clubhaus abgesetzt hatte, hatte Felicity kein Lebenszeichen mehr von ihr erhalten.
»Wo sie wohl ist?«, sagte Henry.
Felicity schwieg. Natürlich stand es Alice frei, zu verreisen, wohin und so lange sie wollte, aber irgendwie fühlte sich Felicity doch ein bisschen von ihrer alten Freundin im Stich gelassen.
Henry stupste sie an und machte mit dem Kinn eine Bewegung zum offenen Meer hin. »Jetzt gibt’s gleich Ärger«, sagte er. »Das ist die Jolle der Blakes.«
Felicity erkannte die mickrige Gestalt Mirandas und seufzte. Das Boot hielt direkt auf sie zu.
»Jede Menge Platz auf dem Meer und wir müssen diesem Brechmittel begegnen«, meinte Henry. Er steuerte die Jolle weg von ihr, aber Miranda reagierte prompt und schnitt der Ehrlichen Armut den Weg ab. Fluchend drehte Henry bei.
Mirandas Stimme schallte herüber. »Hallo, Gallant. Du machst wohl eine Spazierfahrt mit deinem kleinen Freund?« Felicity antwortete nicht. »Und wie schick du wieder angezogen bist.« Sie lächelte boshaft. »Eine klassische Kombination …«
Felicity sah hinunter auf die geborgten alten Deckschuhe, die Hose von ihrer Mutter und den mottenlöchrigen Pullover, den sie vor der Altkleidersammlung gerettet hatte, und verging fast vor Scham.
»Zieh Leine, Blake«, schrie Henry wütend.
Miranda musterte die beiden. »Wirklich süß«, gurrte sie und manövrierte ihre Jolle weg. »Immer zur Stelle, um dich zu verteidigen.«
»Giftzwerg«, knurrte Henry verächtlich, während Miranda sich höhnisch grinsend entfernte.
Felicity lächelte, aber im Grunde ihres Herzens gab sie Miranda recht. Auch ihre eigene Mutter hatte es ja oft genug gesagt: Felicity sah aus wie ein Sack Kartoffeln mit einem Strick um die Mitte und genauso reizlos und unförmig fühlte sie sich auch.
»Wie kannst du nur so unvernünftig sein, Henry«, schimpfte Mrs Twogood, während sie Felicitys Haare mit einem Handtuch trocken rubbelte.
Felicity stand mitten im Zimmer und genoss nach der eisigen Kälte draußen die Wärme des bullernden Ofens. Nur Henry in seinem Sessel konnte ihr schadenfrohes Grinsen sehen, während seine Mutter grimmig entschlossen ihren Kopf bearbeitete, um auch noch das letzte Tröpfchen Feuchtigkeit zu vertreiben.
»Überredet so ein junges Mädchen, mitten im Winter mit ihm rauszufahren. Sie hätte sich den Tod holen können.«
»Na ja, es war schönes Wetter«, bemerkte Henry gelassen und nahm einen Bissen von seinem heißen Toast mit Butter.
»Das spielt keine Rolle.« Mrs Twogood griff nach einer Bürste, um damit Felicitys Haare zu bändigen. »Nette junge Mädchen wie Felicity sind nicht so robust wie ihr Jungs. Darauf hättest du Rücksicht nehmen müssen.«
Felicity zuckte immer wieder zusammen, während die Borsten durch ihre widerspenstigen Locken fuhren.
»So, Schätzchen, fertig.« Mrs Twogood lächelte. »Wollen wir jetzt Tee trinken?« Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte sie in die Küche.
»Das tut ganz schön weh, wenn sie einem die Haare bürstet, nicht?«, fragte Henry.
»Ein bisschen.«
»Gut so«, sagte er und nahm sich die letzte Scheibe Toast.
»Hast du Lust auf eine Runde Backgammon?«
Sie spielten im Wohnzimmer vor dem Kaminfeuer. Um sie herum und über ihnen tobte ein erbitterter Kampf: Es ging dabei um Percys Kricketschläger, der verschollen und zuletzt in Wills Besitz gesichtet worden war, und um den feinen Unterschied zwischen Besitz und
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