Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)
Ich verstehe nicht, wie es sein kann, dass sie mit Rafe Gallant verheiratet ist.«
»Felicity«, sagte Henry, »deine Großmutter ist einfach eine böse alte Frau, der es Spaß macht, auf anderen Leuten herumzuhacken. Und dein Vater denkt wahrscheinlich nur darüber nach, wie es mit dem Baby sein wird. Ich verstehe, dass du nach Erklärungen suchst, aber das ändert nichts daran, dass alles mit rechten Dingen zugeht.«
»Nein, mit meiner Großmutter stimmt was nicht, da kannst du sagen, was du willst. Sie ist nicht normal , sie ist unheimlich.« Felicity steckte die Hand in ihre Tasche und überlegte, ob sie Henry die Holzkugel zeigen sollte.
»Du magst sie bloß nicht, das ist alles.«
Felicity gab es auf. »Das ist wahr, ich mag sie nicht«, sagte sie. »Aber sie ist unheimlich.«
In Wellow zogen sie das Boot wieder auf den Strand. Felicity blickte hinüber zum Hafen.
»Rafe Gallant ließ doch damals unterirdische Gänge anlegen, oder?«, fragte sie.
»Ja, die führten von der Soul Bay in verschiedene Teile der Stadt. Es waren nicht so viele, wie die Leute behaupten, aber es gab welche.«
»Aber war das nicht furchtbar umständlich, die geschmuggelten Waren durch Tunnel zu schleppen?«
Henry zuckte die Achseln. »Na ja, immer noch besser, als geschnappt zu werden. Und außerdem machte es keinen so großen Unterschied: Man konnte ja nicht mit Wagen zum Strand fahren, es musste sowieso alles getragen werden. Die Leute von der Gentry benutzten die Tunnel auch bei ihren Zusammenkünften, jedenfalls am Anfang. Später wurde die Gentry so mächtig, dass sie es nicht mehr nötig hatten, sich zu verstecken.«
»Hast du so einen Tunnel schon mal gesehen?«, fragte Felicity.
»Ja, ich war mit meinen Brüdern schon ein paarmal drin. Wir wollten uns das Werk der Twogoods aus der Nähe anschauen.«
»Der Twogoods?«
Henry lächelte. »Klar. Rafe Gallant hat die Gänge in Auftrag gegeben und die Twogoods haben sie gebaut.«
»Deine Leute haben für die Gentry Tunnel gebuddelt?«
»Die Twogoods waren die Ingenieure der Gentry«, sagte Henry leicht verärgert.
Felicity sah ihn verwirrt an.
»Wir haben all die Dinge erfunden, für die die Gentry berühmt war. Die Twogoods haben dafür gesorgt, dass sie immer die Nase vorn hatte. Zuerst leiteten sie den Bau des Tunnelsystems, später dachten sie sich alle möglichen Geräte aus, die in der Seefahrt nützlich waren, Navigationstechnik, Signalsysteme, Apparate, mit deren Hilfe die Wettervorhersage verbessert werden konnte, und so weiter.«
Felicity hörte fasziniert zu.
»Wir wollen einfach immer dahinterkommen, wie die Dinge zusammenhängen, das ist so eine Art Familientick«, erklärte Henry. »Und wenn man mal kapiert hat, wie etwas funktioniert, dann kann man es verbessern. Manche der Erfindungen sind immer noch absolute Spitze – allerdings weiß kaum jemand, dass sie den Twogoods zu verdanken sind. Wir haben neuartige Kompasse, Barometer und Teleskope entwickelt, lauter hochmoderne Geräte.«
Felicity runzelte die Stirn. Weiter vorn am Strand sah sie wieder diesen Jungen. »Jeb Tempest«, stieß sie hervor.
Henry verdrehte genervt die Augen. Felicity achtete nicht darauf, sondern rannte los den Strand entlang.
»Wo willst du hin?«, rief Henry ihr nach.
»Hey, warte mal«, schrie sie. Jeb blieb stehen und schaute sich nach ihr um. »Woher kennst du meine Großmutter?«, fragte sie.
Er starrte sie an, dann drehte er sich brüsk um und marschierte in Richtung Stadt.
»Er hat mich einfach ignoriert«, sagte Felicity fassungslos zu Henry, der keuchend angelaufen kam.
»Ich hab es dir doch gesagt: Die Tempests sind komische Leute«, antwortete er. »Komm, gehen wir nach Hause.«
Jeb schritt weiter auf das Gasthaus Zum goldenen Fernrohr zu. Er verfluchte sich selbst im Stillen. Er hatte die kleine Gallant unterschätzt: Wie ein Idiot hatte er dagestanden, als sie auf ihn zugelaufen kam mit wehenden Haaren und geröteten Wangen und ihn nach ihrer Großmutter fragte. Und dann auch noch dieser Knirps von den Twogoods, der ihn so rotzfrech angeschaut hatte. Damit hatte Jeb nicht gerechnet.
Auch Villainous Usage am anderen Ende von Wellow war gründlich verunsichert. Er saß in einer Ecke des Zimmers und sah schweigend zu, wie seine Mutter mit finsterer Miene ihr viertes Rosinenbrötchen in sich hineinstopfte. Er wusste aus leidvoller Erfahrung, dass er am besten den Mund hielt, wenn sie in dieser Stimmung war. Und das ging nun schon die ganze Woche
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