Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)
er es aus dem Gedächtnis zitierte: » So wahr meine Liebe sich in Hass verkehrt hat, soll mein Blut sich gegen dich kehren … Was dir das Leben geschenkt hat, soll dich vernichten. So lautete sein Schwur.«
Felicity schwieg eine Weile, dann fragte sie: »Aber was soll das bedeuten?«
»Der Ausdruck ›Was dir das Leben geschenkt hat‹ verweist, so nimmt man an, auf die Macht der Urgeschichten , durch die alles geschaffen wurde«, sagte eine ruhige Stimme aus dem Hintergrund.
Felicity drehte sich um und sah, dass Miss Cameron wieder hereingekommen war.
»Dein Großvater gelobte, eine Urgeschichte zu schaffen, die seiner Frau den Tod bringen sollte. Noch nie zuvor war einem Menschen etwas Derartiges gelungen, aber das schreckte ihn nicht ab: Es musste sein, um Rubys willen.«
»Aber wie wollte er das anstellen?«, fragte Felicity.
Miss Cameron trat ans Fenster und blickte hinaus aufs Meer, das im Mondschein glänzte. »Er wollte einen jener geheimen Orte finden, an denen Geschichten Wirklichkeit werden. Wenn ihm das gelänge, könnte er eine Geschichte schaffen, die das Leben der Herrin auslöschen würde.«
Felicity warf einen ängstlichen Blick zur Uhr an der Wand. »Ich muss gleich gehen«, sagte sie, »und dabei habe ich noch so viele Fragen. Ich verstehe immer noch nicht, warum meine Großmutter hier ist.«
»Rafe hat angekündigt, dass er nach Wellow zurückkommt«, erklärte Miss Cameron. »Wahrscheinlich hat sie davon erfahren und nimmt an, dass ihm gelungen ist, was er sich vorgenommen hatte.«
»Halten Sie das für möglich?«, fragte Martha atemlos.
»Rafe hat einen eisernen Willen, ihm ist alles zuzutrauen. Und Felicitys Großmutter weiß das besser als die meisten.«
Felicity fühlte sich ungeheuer erleichtert. Alles, was sie über ihren unerschrockenen Großvater gelesen hatte, bestätigte sie in der Überzeugung, dass dieser Mann wusste, was zu tun war. »Dann ist ja alles gut. Wir müssen einfach nur warten, bis er da ist.«
»Leider nicht«, sagte Miss Cameron düster.
Felicitys ganze Zuversicht war mit einem Mal wie weggeblasen. »Wieso?«
Die Bibliothekarin sah ihr ernst in die Augen. »Ich denke, er hat dich zur Hauptperson seiner Geschichte bestimmt.«
»Mich?«, fragte Felicity schockiert. »Was soll das heißen?«
Martha mischte sich ein: »Das klingt logisch. Mein Blut soll sich gegen dich kehren, hat er gesagt. Du bist Rafes Enkelin, Felicity, du hast sein Blut in deinen Adern.«
»Aber ich kann doch nicht … Er will, dass ich … Das ist doch vollkommen unmöglich«, stammelte sie verdattert, aber dann fasste sie sich wieder. »Was muss ich tun?«, fragte sie. »Was passiert in der Geschichte?«
»Das ist das Problem – niemand weiß es außer Rafe«, sagte Miss Cameron. »Wir wissen nur von Rafes Schwur. Auch deine Großmutter weiß nicht mehr darüber, aber wahrscheinlich hat sie so ihre Vermutung. Die Geschichte geht ihren Gang nach ihren eigenen Gesetzen.«
»Geht ihren Gang nach ihren …«, wiederholte Felicity fassungslos. Die Anspannung der letzten beiden Tage war zu viel für sie, sie konnte einfach nicht glauben, was sie da hörte. »Ich soll also untätig zuschauen, was passiert?«, fragte sie erbittert. »Ich kenne das Buch, ich weiß genau, mit wem ich es zu tun habe. Sie stiehlt und lügt und betrügt und mordet. Und sie wohnt mit mir unter einem Dach. Manchmal« – ihre Stimme wurde heiser –, »manchmal habe ich das Gefühl, dass sie mich sofort aus dem Weg räumen würde, wenn sie könnte. Sie hat so eine Art, mich anzusehen … Wenn sie sich sicher ist, dass ich in der Geschichte eine Rolle spiele, bringt sie mich um. Und Poppy auch und meinen Vater.«
Jeb stand auf, tiefe Falten auf der Stirn. Miss Cameron schwieg.
»Ich muss doch wissen, was passieren wird. Soll ich sie vernichten? Dazu bin ich doch überhaupt nicht in der Lage.« Felicity schluchzte, sie war mit ihren Kräften am Ende.
Jeb stand in einer Ecke, sein Gesicht wirkte gequält. Martha und Henry liefen zu Felicity hin, um sie zu trösten. Henry legte seinen Arm um sie.
»Wieso sagt Rafe ihr denn nicht, was sie tun muss?«, fragte er. »Er wird ihr doch wohl eine Nachricht zukommen lassen können, oder nicht?«
»Vor der Geschichte braucht ihr keine Angst zu haben«, sagte Miss Cameron sanft.
Martha legte eine Hand auf Felicitys Arm. »Du bist nicht allein, wir lassen dich nicht im Stich«, versicherte sie. »Deine Großmutter ist es, die Grund hat, sich zu fürchten,
Weitere Kostenlose Bücher