Felicity Gallant und das steinerne Herz (German Edition)
»Bei Dereham gibt es alles Nötige«, pflegte sie zu sagen, in einem Ton, der jeden Widerspruch ausschloss. »Das ist gute Qualität zu einem vernünftigen Preis – nicht diese überteuerten Stoffe, die nicht mal die erste Wäsche überstehen.«
»Ja, leider«, hatte Poppy einmal ihrer Schwester zugeflüstert. »Man kann nicht mal hoffen, dass das hässliche Zeug bald kaputtgeht.«
»Ist der alte Brunnen in deinem Garten inzwischen abgedeckt?«, fragte Felicity während der Fahrt nach Niton, der nächsten größeren Stadt.
»Das Loch ist nur mit einem provisorischen Zaun abgesichert. Die Leute kommen einfach nicht dazu. Na ja, ich muss zugeben, dass sie mit all den anderen Arbeiten, die ich ihnen aufgetragen habe, alle Hände voll zu tun haben. Neulich habe ich im Garten meinen alten Wohnwagen gefunden – total zugewachsen. Wenn ihr das nächste Mal zu mir kommt, zeige ich ihn euch.«
Die zwei Mädchen lächelten.
»Ist ja nicht schlimm, der Schacht ist nicht tief«, sagte Felicity.
»Gehen wir zu Wickham?«, fragte Rafe, als sie durch die Hauptstraße fuhren.
»Echt?«, riefen die Schwestern entzückt, aber schon im nächsten Moment kam es ihnen falsch vor, ein derart großzügiges Angebot so ohne Weiteres anzunehmen.
»Dereham würde es sicher auch tun«, gab Felicity bescheiden zu bedenken.
»Da ist es auch nicht so teuer«, sagte Poppy. Es klang nur ein bisschen halbherzig.
»Eure Mutter kauft normalerweise dort ein, oder?«, fragte Rafe.
Felicity und Poppy sahen ihn an.
»Ja, schon«, sagte Felicity.
»Dann sollten wir unbedingt zu Wickham gehen.«
Felicity und Poppy hätten stundenlang vor dem Schaufenster von Wickham stehen und die Auslage bewundern können. Es war eine Winterszene mit Schneeballschlacht aufgebaut und die Schaufensterpuppen trugen hübsche Mäntel und Anoraks mit dazu passenden Mützen. Die beiden Schwestern waren hin und weg.
»Wollen wir reingehen?«, fragte Rafe nach einer Weile lächelnd. Ein feines Klingeln war zu hören, als er die Tür öffnete.
Die Mädchen wachten auf aus ihrer Verzückung. »Ja, natürlich.«
»Ihr sucht sicher etwas für das große Fest an Weihnachten«, sagte Miss Wickham. »Ganz Wellow spricht von nichts anderem mehr, scheint es.«
Felicity und Poppy sahen sich erwartungsvoll um. An einer Seite des Ladens hingen lauter Abendkleider. Taft und Tüll in allen Farben, schimmernder Samt, feine Stickereien, Chiffon, Glasperlen und Pailletten, ein ganzer Regenbogen aus Satin und Seide.
»Setzt euch.« Die Ladeninhaberin wies auf eine Chaiselongue. »Ich will sehen, ob ich etwas Passendes finde.«
Felicity nahm neben Rafe Platz. »Das finde ich sehr nett von dir«, sagte sie.
Rafe lächelte. »Es ist mir ein Vergnügen.«
Poppy kam aus der Umkleidekabine. Sie trug ein cremefarbenes Taftkleid mit dazu passenden Schuhen, das ihre schlanke Figur sehr schön zur Geltung brachte. Sie hüpfte freudig herum und zeigte sich von allen Seiten.
»Großartig«, sagte Rafe.
Miss Wickham brachte eine Auswahl von Kleidern für Felicity und hielt sie der Reihe nach vor sich hin. Ein ärmelloses Modell aus flammend roter Seide stach Felicity sofort in die Augen.
»Das harmoniert wunderbar mit deinen Haaren und deinen hübschen, dunklen Augen«, meinte Miss Wickham.
Eine Stunde später hatten sie dann den Einkauf abgeschlossen und Miss Wickham packte die Sachen ein.
»Sehr schön«, sagte sie und schlug mit geübten Fingern das Seidenpapier um. Sie sah die Mädchen verschwörerisch an. »Ich habe heute schon etliche Kleider verkauft, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr beide die Königinnen des Abends sein werdet.«
Poppy kicherte.
Als sie aus der Tür traten, ihre kostbaren Einkäufe gut verpackt unter dem Arm, lächelte Felicity selig.
Eine wohlbekannte Stimme schreckte sie auf.
»Miss Gallant!«
»O nein«, flüsterte sie ihrer Schwester zu.
Povl Usage winkte mit dem einen Arm, unter dem anderen trug er ein paar Bücher. Er eilte auf sie zu, so hastig, dass man fürchten musste, er würde hinfallen. »Diese Ehre!«, keuchte er. »Rafe Gallant in Fleisch und Blut.« Er blieb stehen, ziemlich knapp vor den Mädchen und ihrem Großvater.
Rafe sah ihn erstaunt an. Felicity wand sich vor Verlegenheit.
»Und die beiden Stars der Priory Bay – von allen geschätzt und bewundert«, fuhr der Chemielehrer fort. Die Gesichter von Felicity und Poppy erstarrten.
Felicity wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. »Mr Usage ist Lehrer an
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