Felicity Gallant und das steinerne Herz (German Edition)
Fernrohr
. Überall redeten die Leute über nichts anderes mehr als darüber, wer eingeladen war, was man anziehen sollte, wer mit wem plaudern, was es zu essen und zu trinken geben würde.
»Das Motto des Fests ist
Winterwald
«, berichtete Poppy aufgeregt ihrer Mutter beim Abendessen. »Das Haus wird mit Zweigen und Tannenbäumchen dekoriert und das Personal trägt besondere Kostüme mit Tiermasken.«
»Das sieht bestimmt wunderschön aus«, sagte Mrs Gallant.
»Meint ihr, es wird getanzt?«, fragte Poppy.
»Vielleicht wird es auch irgendwelche Spiele geben«, sagte Felicity.
Mrs Gallant lächelte. Olivia in ihrem Arm lutschte an einem Löffel.
Mr Gallant strich Butter auf ein Stück Brot. Manchmal kommt man sich schon komisch vor, dachte er, wenn man als einziger Mann unter Frauen lebt.
»Da steht zwar ›Garderobe: nach Belieben‹, aber wir sollten uns doch ein bisschen hübsch machen, wenn wir uns nicht blamieren wollen«, bemerkte Poppy, die bereits alle ihre Kleider, die infrage kamen, kritisch gemustert und für ungeeignet befunden hatte.
Die Eltern sahen einander an. »Ich glaube nicht, dass wir extra deswegen was Neues kaufen brauchen«, sagte der Vater. »Ein Festkleid für einen einzigen Abend! Ihr wachst so schnell raus aus euren Sachen.«
Mrs Gallant war ganz seiner Meinung. »Bestimmt finden wir unter euren Kleidern etwas Passendes. Vielleicht muss man die Säume ein bisschen auslassen, aber das ist ja schnell gemacht.«
Poppys perfekt geschwungener Mund klappte auf. Selbst Felicity konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen.
»Wir werden die Einzigen auf dem Fest sein, die alte Klamotten tragen.« Poppys Unterlippe zitterte.
»Ich finde, wir sollten diese Diskussion jetzt beenden«, sagte ihre Mutter.
»Aber –«
»Schluss jetzt.«
Felicity blickte auf den Boden. Es war so gemein! Ihre Eltern wollten sich nicht einmal anhören, was sie dazu zu sagen hatten. Sie wusste, wie grausam ihre Mitschülerinnen sein konnten, wenn jemand nicht hübsch oder modisch genug angezogen war. Aber es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich zu fügen.
Am nächsten Tag überlegten Felicity und Poppy wieder, was sie zum Fest anziehen könnten. Draußen nieselte es, der Himmel war stahlgrau.
Poppy hatte alle ihre Kleider anprobiert – sie passten einfach nicht. Und mit den Schuhen war es ebenso aussichtslos. Wenn sie ihre Füße mit Gewalt hineinquetschte, konnte sie gerade noch humpeln. »So wie Mama und Papa daherreden, dürften wir überhaupt nichts Neues mehr kriegen, solange wir noch wachsen«, sagte sie verbittert.
Felicity seufzte. »Vielleicht wollen sie sparen, weil sie jetzt auch noch für Olivia sorgen müssen.«
Sie knöpfte das rote Seidenkleid zu, das Alice ihr letzten Winter geschenkt hatte, und stellte sich vor den großen Spiegel, den sie sich von ihrer Mutter ausgeborgt hatten. In der Taille passte das Kleid noch, aber es war viel zu kurz.
Es läutete an der Tür. Die beiden Mädchen kümmerten sich nicht darum.
»Vielleicht kannst
du
es tragen«, sagte Felicity. »Es ist noch wie neu.« Poppy probierte das Kleid an, aber es war ihr viel zu weit.
Die Mutter rief nach ihnen. Die Schwestern gingen die Treppe mit dem roten Läufer und den glänzenden Messingstangen hinunter.
Rafe war da. Er trug einen schicken Mantel und einen Hut.
»Du hast dich aber fein gemacht. Hast du was Besonderes vor?«, sagte Poppy und gab ihm einen Kuss.
»Ich habe gehört, hier gibt es zwei Mädchen, die ganz verzweifelt sind, weil sie nichts zum Anziehen haben.« Er zwinkerte ihnen amüsiert zu. »Und da dachte ich, in so einem Notfall kann man nur eins tun: Man muss schleunigst einkaufen gehen.«
Poppy kreischte auf vor Entzücken. Sie packte Felicity bei den Händen und hüpfte und tanzte mit ihr im Hausflur herum. Felicity musste lachen.
»Man könnte glauben, dass du es darauf angelegt hast«, sagte Poppy zu ihrem Vater, der gerade aus seinem Arbeitszimmer kam.
»Ich weiß gar nicht, wovon du redest.« Er strich ihr übers Haar. »Zieht euch an und macht, dass ihr fortkommt, bevor euer Großvater es sich anders überlegt.«
Mrs Gallant kaufte die Kleidung für ihre Töchter normalerweise bei Dereham, einem kleinen Geschäft, das ausschließlich
praktische
Sachen im Sortiment hatte. Die Garderobe der anderen Schülerinnen der Priory Bay stammte aus einem Laden, der ein wahrer Tempel der alleraktuellsten Mode war: Wickham.
Aber Mrs Gallant ging nur dorthin, wenn es unbedingt sein musste.
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